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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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im Speisesaal frühstückten oder zu den einzelnen Therapieräumen gingen, blieben sprachlos stehen, als zwei Schwestern die bis zum Hals zugedeckte Ärztin über den Flur in die Röntgenstation rollten. Mit Windeseile sprach es sich in den Zimmern der Klinik herum. Zum erstenmal wurde das eiserne Gesetz der Hausordnung, nicht über Krankheit und Kranke zu sprechen, verletzt. Franz Wottke wurde bestürmt. Seine lauten Beteuerungen, er wisse auch nicht, was die kleine Ärztin habe, glaubte ihm keiner.
    »Es ist Krebs …«, sagte jemand. Das Wort stand plötzlich im Raum. Krebs! Eine Krebsärztin mit Krebs …
    »Quatsch!« sagte Wottke. Aber seine Stimme klang hilflos und nicht überzeugend. Auch er spürte das Entsetzen in sich aufsteigen. »Das gibt es doch nicht …«
    »Sie ist ein Mensch wie wir!« Hans Bertrich, der Regisseur, sagte es. Die Umstehenden blickten betreten zu Boden.
    »Und wenn!« Wottke wuchs um einige Zentimeter. »Unser Chef wird sie heilen! Hier ist es bestimmt früh erkannt worden. Weiß ich doch! Und nu keine Panik, Herrschaften …«
    Über den Flur kamen Dr. Summring und Dr. Adenberg. Hans Bertrich hielt sie an. Er vertrat ihnen den Weg.
    »Was ist mit Dr. Pechl?« fragte er laut.
    Dr. Summring versuchte zu lächeln.
    »Wir wissen genau so wenig wie Sie, Herr Bertrich. Ein Schwächeanfall vielleicht.«
    »Sie verschweigen uns etwas …«
    »Fragen Sie den Chef.« Summring und Adenberg schoben Bertrich zur Seite und eilten weiter zur Röntgenstation. Die Patienten starrten ihnen nach. Vier Ärzte auf einmal bei der kleinen Marianne Pechl … wegen eines Schwächeanfalls!
    »Es kann ja auch 'n Herzinfarkt sein!« sagte Wottke, um die Situation zu retten. Als ihn keiner mehr beachtete, ging er brummend in seine Wohnung. Lisbeth saß wieder an der Nähmaschine und nähte für den dritten Wottkejungen eine Joppe. Aus Hirtenloden. Der Winter stand vor der Tür.
    »Die ganze Klinik dreht durch«, sagte er und steckte sich eine Pfeife an.
    »Sie hat wirklich Krebs …«
    Wottke fuhr herum wie gestochen.
    »Jetzt fängst du auch noch an!«
    »Ich weiß es. Ich habe zufällig ein Gespräch zwischen dem Chef und Dr. Wüllner gehört …«
    Wottke war blaß geworden. Er setzte sich, seine Beine verloren die Festigkeit. »Weiß det einer? Haste das schon erzählt …?«
    »Für was hältst du mich eigentlich?«
    »Für 'n Weib … und Weiber quatschen! Kein Wort darüber – oder ick vergesse mir.«
    »Daß du immer den starken Mann spielen mußt.« Frau Wottke ließ die Nähmaschine schnurren und zog die Joppennaht durch. »Ich möchte wetten, daß gerade du der erste bist, der die Sensation weiterposaunt …«
    Beleidigt ging Wottke in die Küche und machte sich ein Gurkenbrot. Durch das Fenster sah er, wie zwei Schwestern aus dem Ärztehaus einige Sachen brachten … offenbar Sachen von der Pechl …
    Sie wird umgebettet, dachte er, und das Brot entfiel ihm. Sie kommt in die Klinik. Als Patientin. Sie ist keine Ärztin mehr, sie ist nur noch eine von ungezählten Tausenden, denen vielleicht nicht mehr zu helfen ist …
    »Mein Gott …«, sagte Wottke leise. »O mein Gott …«
    Dr. Färber schlief bereits, als es an der Tür klingelte. Zuerst dachte er, es sei das Telefon. Vielleicht ein Unfall, eine Komplikation, eine Blutung, die der Wachhabende nicht stillen konnte. Mit wirren Haaren setzte er sich im Bett auf und versuchte, sich den abgelaufenen Tag zu vergegenwärtigen, während er den Hörer abnahm … aber es tickte nur das Amtszeichen. Dagegen klingelte es noch immer.
    Färber sprang aus dem Bett, warf den Bademantel über und schlüpfte in seine Pantoffeln. Da verwechselt mich einer mit einem praktischen Arzt, dachte er. Ich werde ihn weiterschicken zu Dr. Viebig, zweite Querstraße, erstes Haus rechts.
    Er ging in die Diele, knipste das Licht an und entriegelte die Tür. Beim Aufflammen des Lichtes hatte das Klingeln aufgehört. Dr. Färber öffnete und prallte im gleichen Augenblick zurück. An der Schwelle stand Herta …
    »Herta …«, stotterte er.
    »Ja, da bin ich, Hubert. Entschuldige, daß ich so spät komme. Du hast schon geschlafen …«
    »Du bist da«, sagte er immer noch fassungslos und machte einen Schritt zur Seite, damit sie eintreten konnte. Sie ging an ihm vorbei ins Haus, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt.
    »Schön, daß bei dir geheizt ist. Ich dachte, ich würde in eine ungemütliche, kalte Junggesellenbude kommen. Ist noch was im Eisschrank? Ich

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