Die Begnadigung
zusammenhängt. Ich weiß aber nicht, was. Runkel hat nichts verraten. Er war jedoch gehobener Stimmung.« Färber warf seinen Bademantel ab und machte sich fertig. »Ich verständige dich, sobald es geht …«
Sie nickte und half ihm in die Jacke. »Vergiß nicht, was du mir gestern nacht versprochen hast. Muß ich dich daran erinnern, Hubert? Unser Abkommen: Ich bleibe wieder bei dir, und du nimmst den Professorentitel an … aber du tust nichts, was sich gegen Hansen richtet!«
»Ich vergesse es nicht. Bestimmt nicht!« Färber schlüpfte in seinen Trenchcoat und küßte Herta auf die Stirn. »Hoffentlich bin ich bald wieder bei dir …«
»Ich warte …« Sie begleitete ihn durch den Garten bis zu dem Durchgang zum Klinikpark. »Wenn sie irgend etwas da drüben gegen Hansen gefunden haben, halte dich heraus, Hubert!«
Er nickte und zog die Pforte hinter sich zu.
Schnell ging er über die geharkten Wege dem großen Gebäude der Chirurgie entgegen.
Im OP-Trakt war alles hell erleuchtet. Der OP II, der Chef-OP, die Flure, das Labor, die Röntgenstation, das Chefzimmer, die Wachzimmer der Nachtdienst-Ärzte.
Eine ganz große Sache, dachte Dr. Färber und beschleunigte seine Schritte.
Später nannte Professor Runkel diesen Abend ›Hansens Staatsbegräbnis Erster Klasse …‹.
Im Privat-Untersuchungszimmer Professor Runkels traf Oberarzt Dr. Färber auf den II. Oberarzt Dr. Werner. Der diktierte gerade einer Schwester in die Maschine.
»Das Melanom dürfte seit einem Jahr bestehen und seit sechs Monaten …« Er unterbrach, als Färber ins Zimmer trat, und nickte ihm zu. »Guten Abend, Hubert …«
»Ein Melanom, höre ich?« Dr. Färber warf seinen Mantel über eine Stuhllehne. »Deswegen holt mich der Chef? Wo sitzt es denn?«
»Eine Metastase in der Hirnhaut …«
»Da ist doch gar nichts zu machen! Was soll denn der Rummel?«
»Du wirst sofort anders denken, Hubert: Das Melanom kommt von Hansen …«
Färbers Gesicht versteinerte plötzlich. »Von Hansen …«
»Und die Pointe: Die Kranke ist Doktor Pechl … seine Assistentin! Toll, was? Krebsärztin wird mit Krebs eingeliefert, der zu spät erkannt und unsachgemäß behandelt wurde …«
»Wer sagt das?«
»Der Alte!« Dr. Werner drehte sich wieder der Schreibmaschine zu. »Runkel ist vollkommen aus dem Häuschen vor Freude …«
»Er freut sich über einen so unglücklichen Menschen?« Bitterkeit stieg in Färber hoch. Er zog seinen weißen Mantel an, wusch sich gründlich und ging hinüber zum OP, wo Runkel, umgeben von einigen Assistenten, entgegen aller Gepflogenheit Marianne Pechl auf dem OP-Tisch untersuchte.
Dr. Wüllner stand hinter Runkel, als Färber eintrat. Sein Gesicht war bleich und verzerrt. Er vermied es, Marianne anzusehen, die mit flackernden Augen verfolgte, wie Runkels Hände Leber, Milz, Nieren abtasteten und palpierten. Ihr Kopf flog herum, als Färber in den OP kam.
»Herr Färber!« rief sie. »Wenn schon keiner auf mich hört, dann machen Sie es bitte den übereifrigen Kollegen klar, daß es gegen meinen Willen ist, daß ich mich hier befinde, und daß ich alles ablehne, was jetzt mit mir gemacht wird! Ich bin hilflos … und ich betrachte es als eine Ausnutzung meiner Hilflosigkeit, mich zu untersuchen …«
Dr. Färber sah mit großem Blick auf Professor Runkel. Über das Gesicht des Ordinarius zuckte der Triumph. Er kümmerte sich nicht um die Proteste Marianne Pechls … er wartete auf die ersten Röntgenaufnahmen und vertrieb sich die Zeit damit, eine Verhärtung der Leber fast befriedigt festzustellen. Als er den fragenden Blick seines I. Oberarztes sah, nickte er ihm zu.
»Herr Kollege Wüllner hat die Kranke eingeliefert. Er ist ihr Verlobter. Er übernimmt die Verantwortung …«
Er sagte das, als läge Marianne in tiefster Narkose. Dr. Wüllner trat zu Marianne, die im gleichen Augenblick den Kopf schroff zur Seite wandte.
»Marianne …«, sagte er zaghaft. »Es ist doch nur zu deinem Nutzen … Ich wollte nichts auf der Welt unversucht lassen … Ich …«
»Aha – da sind die ersten schon!« Professor Runkel streckte beide Hände aus, als die Laborantin mit den noch nassen Aufnahmen ins OP kam. »Nun werden wir ja gleich genau sehen, was zu tun ist …«
Er hob sie nacheinander gegen die starken OP-Scheinwerfer. Rechts von ihm stand Wüllner, links Färber. Mit emporgereckten Köpfen starrten sie auf die Aufnahmen. Es war ihnen rasch alles klar, allzu klar …
»Hm«, sagte Runkel leise. Mehr
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