Die Behandlung: Roman (German Edition)
beobachten konnte, wie sie Domino spielten, herumbrüllten, sich auf die Schenkel schlugen, ihre Handys aus der Tasche zogen, um Freunde über den Fortgang des Spiels zu unterrichten. Ansonsten hatte man sich in der Coldharbour Lane auf die neuen Bewohner des Viertels eingerichtet. Caffery und Souness entschieden sich für die Satay Bar, ein hübsches Lokal mit Spiegeln an den Wänden und leuchtenden Papageienblumen in hohen Glasvasen. Sie bestellten zweimal Malay-Kebab mit Reiswürfeln und zwei Flaschen Singha-Bier und setzten sich direkt neben dem Fenster an einen winzigen Tisch. Souness öffnete ihre Jacke und machte es sich bequem – den Piepser vor sich auf dem Tisch.
»Gefällt mir – der Laden.« Sie beugte sich ein wenig vor und schaute aus dem Fenster. »Die Straße hier ist so verdammt in , dass man mit Sicherheit’ne heiße Braut zu sehen bekommt, wenn man nur lange genug in einem der Cafés rumhängt. Dort drüben hab ich mal Caprice gesehen, jedenfalls glaub ich, dass sie es war. Sie hatte eine …« Sie inhalierte hörbar und legte die Hände auf die Oberschenkel. »Also, sie hatte so eine kurze Latzhose an – und wie heißt noch mal diese Sängerin mit den großen Titten, die zwischendrin diese Fressorgien einlegt? Sie wissen schon – die mit dem großen Mund.«
»Keine Ahnung.«
Souness lächelte ihn ironisch an und schob ein Stück Fleisch in den Mund. »Das erste Symptom einer ausgewachsenen Depression.«
»Was?«
»Wenn man sich nicht mehr für Sex interessiert.«
»Über mangelndes Interesse an Sex kann ich mich eigentlich nicht beklagen.«
»Das glaube ich gerne.« Sie zeigte mit dem Kebab-Spieß auf ihn. » Sie werden sich für Sex interessieren, solange Sie atmen, Jack Caffery.«
»Na ja, also …« Er wickelte sein Besteck aus, zog den Teller näher zu sich heran und inspizierte eine Weile sein Essen. Dann beugte er sich vor und stützte sich mit den Ellbogen zu beiden Seiten des Tellers auf den Tisch. »Wie lange machen Sie den Job jetzt schon, Danni? Vierzehn – sechzehn Jahre?«
»Und so weiter. Ich weiß, dass ich mich gut gehalten habe, aber mein Dreißigster liegt jetzt auch schon neun Jahre zurück.«
»Dann versuchen Sie mal, sich zu erinnern, wie Sie sich damals gefühlt haben.«
»Na ja, war’ne ziemlich aufregende Zeit für mich. Außerdem hab ich mich sofort geoutet. Aber «, sagte sie und fuchtelte mit dem Spieß in der Luft herum, »ich habe daraus nie einen Vorteil gezogen. Selbst als sich die Situation geändert hat und die Möglichkeit dazu bestanden hätte.« Sie schob sich die Gabel in den Mund und kaute genüsslich. »Was natürlich nicht heißt, dass ich nicht hier und da einem Kerl ein bisschen Honig um den Bart geschmiert hätte – oder einer dieser Karrierebräute.«
»Um den Bart?«
»Nein, wie soll ich das jetzt sagen …?«
Er lächelte. »Und der Job, macht der Ihnen noch Spaß?«
»O ja. Ich hab die Entscheidung nie bereut – nicht einen Augenblick.«
»Und Sie haben noch nie das Gefühl gehabt, dass Sie vielleicht aus den falschen Gründen dort gelandet sind?«
»Nein.« Sie schob sich eine Gabel Reis in den Mund, sah sich dann kauend in dem Restaurant um und fixierte einen Punkt über seinem Kopf. »Aber natürlich hab ich als Kind auch nicht so was Schreckliches erlebt wie Sie.«
Caffery räusperte sich, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und beäugte das Essen auf seinem Teller. Er wusste, dass Souness ihm den Ball zugespielt hatte. Plötzlich verspürte er keinen Hunger mehr. »Sie wissen ja sicher« – er sah sie an – »also … dass ich nur zur Polizei gegangen bin, weil ich gehofft habe, dass ich vielleicht Ewan …« Er hielt inne. »Also, dass ich meinen Bruder vielleicht finden würde.«
»Um das zu kapieren, braucht man wahrlich kein Genie zu sein.«
Er beugte sich vor. »Nur dass ich ständig alles durcheinander werfe, Danni. Da krieg ich einen Fall wie diese Rory-Peach-Geschichte, und plötzlich bin ich wieder acht Jahre alt und möchte am liebsten alle verprügeln und wie bekloppt um mich schlagen.«
»Das heißt, dass diese alte Wut immer wieder in Ihnen hochkommt? Und weiter?«
»Und weiter?« Er zog seinen Tabak aus der Tasche und drehte sich eine Zigarette. »Und weiter? Na ja«, sagte er und zündete sich die Zigarette an. »Möglich, dass ich eines Tages mal voll ausraste, das seh ich schon kommen. Eines Tages wird mir irgend so ein Schwein in die Quere kommen, und dann werde ich die Selbstbeherrschung
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