Die Behandlung: Roman (German Edition)
ihren Teller und machte sich dann genüsslich darüber her. Kurz darauf ließen sie die Rechnung kommen, und Caffery stellte fest, dass er das Geld, das er aus dem Automaten geholt hatte, gar nicht gebraucht hätte.
Rebeccas Stimme klang am Telefon irgendwie merkwürdig. »Jack, wo bin ich – o Gott …« Sie holte Luft. »Tut mir Leid, ich meine, wo bist du ?«
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich bin – ich weiß nicht recht -, ich glaube ich bin total betrunken, völlig durcheinander, Jack.«
»Wo bist du denn?«
»In der – du weißt schon, in dieser Galerie.«
»Du meinst da, wo ich dich schon mal abgeholt habe?«
»Ja, glaub schon.«
»Ich bin gleich auf der anderen Straßenseite. Warte auf mich.«
Die Satay Bar war nur etwa hundert Meter von der Air Gallery entfernt. Er trat in den total verqualmten Raum und schob sich mit tränenden Augen zwischen Aluminiummobiles, in Harz gegossenen Säulen und messerscharfen Lichtstrahlen hindurch, wobei er die Blicke der coolen Jungmenschen, die sich dort versammelt hatten, tunlichst ignorierte. Als er Rebecca schließlich im ersten Stock entdeckte, blieb er einen Augenblick verwundert stehen und hatte das Gefühl, in eine völlig neue Welt zu blicken.
In einer Vitrine, die mit einer farbigen Flüssigkeit gefüllt war, schwammen im gleißenden Scheinwerferlicht Abgüsse weiblicher Genitalien. Direkt vor dem Glasbehälter saßen auf farblich genau auf das »Kunstwerk« abgestimmten Stühlen vier Mädchen mit blassem osteuropäischem Teint und geometrischen Frisuren. Sie hingen an den Lippen eines Mannes, der ihnen gegenüber auf einem roten Plastiksofa saß. Er war groß gewachsen und bot in seinem schwarzen Polohemd einen äußerst attraktiven Anblick. Caffery erkannte in ihm einen Journalisten, der im Fernsehen eine beliebte Late-night-Show moderierte.
»Wie die von Michelangelo verblendeten Fenster der Medici-Bibliothek führen auch die Vaginen dort in der Vitrine ins Nichts«, sagte er gerade und betonte dabei jedes einzelne Wort. »Sie versinnbildlichen die Umkehrung der natürlichen Ordnung der phallokratischen Gesellschaft. Sie bringen gerade dort das Organische ins Spiel, wo die männlich dominierte Auffassung eigentlich nichts als leeren Raum vermuten würde. Ja, sie scheinen uns sagen zu wollen: ›Schaut nur auf diese unglaubliche Präsenz des Fleisches, diese überwältigende Sinnlichkeit des Uranfangs, die Vagina als Abbild der Welt – und verschließt davor nicht länger die Augen!‹«
Rebecca saß neben dem Mann, während dieser über ihre Arbeiten sprach. Sie trug ein T-Shirt und einen libellenblauen Rock und hatte sich in die Ecke des Sofas gedrückt. Ihr Kopf war nach vorne gekippt. In den Händen hielt sie eine halb leere Flasche Absinth, die schräg auf ihren nackten Beinen lag. Obwohl keiner der Anwesenden es bemerkt zu haben schien, war sie sanft entschlummert.
»Becky.« Caffery schob sich zwischen die weiblichen Zuhörer und das Sofa und streckte ihr die Hand entgegen. »Los, komm schon, Becky.«
Der Journalist hörte auf zu sprechen und drehte sich nach Caffery um: »Ja bitte?« Er legte eine Hand auf die Brust und senkte den Kopf. »Haben Sie eine Frage?«
Caffery bückte sich, um Rebecca ins Gesicht zu sehen. »Rebecca?« Sie saß völlig apathisch da. Sie hatte sich das Haar kurz schneiden lassen, seit er sie zuletzt gesehen hatte, und ihr Gesicht war mit Make-up verschmiert. Sie erinnerte an ein junges Mädchen, das auf einer Teenagerparty zu tief ins Glas geschaut hatte, an einen betrunkenen kleinen Kobold. »Becky – los, komm schon.« Er nahm ihr die Flasche aus der Hand, und sie rekelte sich.
»Was iss’n?« Sie sah ihn verwirrt an. »Jack?« Ihr Atem roch nach Fusel.
»Komm schon.« Er stellte die Flasche auf den Tisch. »Komm, lass uns gehen.« Er legte ihren Arm über seine Schulter, beugte sich hinab und umklammerte ihre Taille.
»Will sie etwa gehen?«, fragte der Journalist herablassend.
»Genau.«
Der Mann zuckte die Schultern und wandte sich wieder den Frauen zu. »Nun gibt es natürlich Künstler, etwa einen Cornelius Kolig, die an die Frage des Sexualverbrechens ganz anders herangehen …«
Die Frauen schlugen mit der Symmetrie einer Tanztruppe die Beine übereinander, würdigten Rebecca keines weiteren Blickes und nahmen jedes Wort des Journalisten begierig in sich auf.
»Ihr blöden Zicken«, sagte Rebecca plötzlich und machte sich von Caffery frei. »Merkt ihr denn gar nicht, dass der Kerl euch
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