Die Belagerung der Welt - Romanjahre
russischen Schriftsteller wird. Die russische Kolonie in Berlin der Zwischenkriegszeit ist einigermaÃen gigantisch, hundert russische Verlage, jede Menge
russischer Zeitungen, Literaturzeitschriften, Theater, Zirkel, Kulturinstitutionen.
Er hat jetzt ein anderes, ein nostalgisches, ein ErsatzruÃland zur Ernährung des eingeborenen, wenn jetzt auch realiter verlorenen Paradiestraums. Er schlägt sich mit Sprachunterricht, als Tennislehrer, Rezensent, auch Stückeschreiber durch, eher ärmlich. Er verliert den bei einem Attentat erschossenen, geliebten Vater; Mutter und Schwestern ziehen nach Prag. Er selber zieht weiter nach Paris, im letzten Moment nach der Machtergreifung Hitlers. Und wiederum im letzten Moment vor dem Einmarsch der Deutschen in Paris nach den USA , wo er Universitätsdozent wird und fortan amerikanisch schreibt. Nabokov ein amerikanischer Schriftsteller. Die erste Hälfte des Werks, umfangreich, entstand in russischer Sprache in Berlin, die zweite auf Amerikanisch in den Staaten. Mit Lolita kommt, verhältnismäÃig spät, der Welterfolg und die finanzielle Unabhängigkeit. Die dritte und letzte Station heiÃt Montreux, wo er in einem Grand Hotel, in dem Russen abzusteigen pflegten, eine Hotelsuite bewohnt, bis zum Tode.
Doch der Nährboden von allem ist der in RuÃlandliebe, Vaterlandssehnsucht eingehüllte verlorene Paradiestraum. Den er nun, als buchstäblich Entwurzelter, nie wieder SeÃhafter, als eine Art Schmetterling in all seinen ausgedachten und nach Art der Schachprobleme konstruierten Romanen versteckt und verteilt. Er versteckt sich selber in vielen ausgedachten Schicksalen oder besser Schicksalsmöglichkeiten, die er in die Gewänder seiner angelebten Exilerfahrungen kleidet, es ist, wie wenn er, in Ermangelung des ihm von Geburt zugedachten Russenlebens, alle möglichen Varianten anderer Leben erfindet, er ist ein Meister der Kombinatorik und Camouflage, der ironischen Irreführungen, es ist überall zu Teilen oder Gegenteilen etwas oder viel von ihm selber im Spiel, er arbeitet mit Derivaten der Vita und frühen Substanz.
Es entsteht eine ironisch gebrochene, von wundervollen ganz eigenen Sprachbildern durchsetzte, beobachtungsreiche, sowohl sprachlich-ästhetisch wie intellektuell-geistig auf höchstem Niveau angesiedelte Odysseus-Literatur, worunter ich das aus Larven des eigenen Fundus ausschlüpfende Falterleben der sonderbarsten, manchmal abgründigen, aber auch komischen Existenzen verstehe, ein wahres Schachspiel möglicher Geschicke, insgesamt ein Pandämonium, nur eben falterleicht zelebriert oder hingeschaukelt, ans tiefste eigene Empfinden gebunden und gekoppelt einzig durch Sprachbilder, deren Empfindungstiefe bei gröÃter Exaktheit Anker werfen, menschliche Anker, und diese poetische Eigenschaft ist es, was die Konstrukte dem Leser nicht nur nahebringen, sondern unter die Haut gehen lassen, hier das Amalgam: in der poetischen Aussagekraft.
Es zieht eine tiefe Sehnsucht durch die Bücher, ich kann sie die Sehnsucht nach dem Verlorenen nennen (oder nach einem anderen unerreichbaren Leben). Ich frage mich, was mich, einen Geschichtenverächter wie mich, mit Ausnahme des Kindheitsstoffs, so tief bewegt. Es muà das Russische sein, das Andere Land, das mir vom Vater her eingeimpft, als das Verlorene oder nie Erreichbare, als das Abgeschnittene vermacht worden sein muÃ. Vielleicht wäre ein in RuÃland heimischer Nabokov nie der groÃe Neuerer, nie dieser gewaltige Schöpfer geworden. Er hat nach dem Verlust alles auf die Schöpfung gesetzt. Auf die Welterschaffung als Dichter, als Künstler.
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Mehrere Wochen Krankheitsausfall. Gehörsturz, Schwindel, Gehschwierigkeiten, ein schwankendes Rohr, der Kopf wie in einer Taucherglocke, brummend, Benommenheit, bleierne Müdigkeit, schwarzes Loch. Klinikuntersuchungen jede Menge ohne Resultat, ein Virus? Konnte nicht mehr
hinaus, tappende Gehversuche am Arm von Odile, die drei Wochen hier alles in die Hand nahm. Von der AuÃenwelt abgeschnitten, sogar den Knall der Knospen verpaÃt und die grünen Schlüpflinge, jetzt ist alles gleichmäÃig grün. Nur die Tonbandgespräche mit Derivière für das République-Nizon -Buch einigermaÃen weitergemacht. Bis ich mich wieder an die Maschine setzte, um am Schreiben zu gehen oder es wenigstens zu versuchen. Jetzt bessert es sich allmählich, war eben auf dem
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