Die Belagerung der Welt - Romanjahre
der mannshohen Photographie des als Lebende-Fackel-Verbrannten, dieses Widerstands-Toten. Mit brennenden Kerzen davor. Viele Leute. Wallfahrtsplatz.
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Und der Judenfriedhof
Nichts von Anlage â die zerstreute Schar. Die Steine unglaublich dicht gesät und ganz ohne Umrandung, Umschwung. Ein hügeliger Haufen, die Toten (wir wissen, daà sie über- und untereinander liegen). Und zu jedem Bestatteten gehört einer dieser oben spitzen, an den Rändern zackigen, grob behauenen Steine, die voller Schrift sind. Die Steine in ihrer dichten Saat wirken wie wackelige und schief starrende Zähne. (Zähne der Zeit.) Und das Ganze hat etwas von der zusammengedrängten (heimatlosen) Herde. Wichtig für mich diese schonungslose Faktizität â wie in die Erde gesteckte Tafeln, wie steinerne Karteizettel. Wahrhaft kein Trost, keine Ummäntelung. Kein Friede. Diese harte Faktizität (vor dem Faktum des Todes). Zähneberg. Knochenberg. Und auch hier weit weit oben Laub von Bäumen, die von krächzenden Raben bewohnt sind. Das ununterbrochene Krächzen gehört zu diesem Judenfriedhof, der das einzige ist, was vom einstigen Ghetto blieb, wenn man von den Synagogen absieht. Da ist nichts beruhigt, der Schrecken ist nicht befriedet.
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Trost der Stadt (Notiz nach Prag)
Man tritt in den Schatten einer Gasse (der GroÃstadt) ein, wirft diesen Schatten wie einen Mantel über sich, empfindet die Verdunkelung und nimmt gleichzeitig einen Schwall von Gerüchen wahr und dazu noch diesen nicht wegzudenkenden Ton, der immer summt und irrt, Ton eines Instru
ments vielleicht, der sogleich Vorstellungen hervorruft, etwa eines (Klavier) übenden Kindes hinter einem Fenster, das man überhaupt nicht auszumachen braucht: Es ist trotzdem ein Zimmer plötzlich da, vor dir, in der Luft da, die Nachbarschaft einer Interieur-Vorstellung, eines Nachmittags, eigene Erinnerungen weckend ⦠Und jetzt legt sich von ganz anderswoher ein anderer Laut darüber â sei es eine schlagende Tür, sei es das Anknurren eines Motors. Und noch etwas â etwas von Sägen oder ein rascher Wortwechsel oder auch nur das Geräusch einer Spülung: Und sogleich ist dieses wunderbare Gefühl da: daà all diese Mauern bewohnt sind, nein mehr: Zeugen und steinerne Behälter von Jugend und Alter und Feierabend und Krankheit und Krieg und Liebe und Rauferei ⦠sind. Daà sie voller Geschichte (Geschichten) sind. Und daà sich dies fortsetzt, und zwar nach allen Seiten: Trost des Kontinuums: daà hier alles millionenfach gepfadet und besetzt ist durch menschliche Lebensvorgänge. So viele Menschenleben haben hier Patina und Ton und Laut und Geruch erzeugt und tun es immerfort ⦠Das eigene Leben wird wundersam gesteigert, der Gang von Schritt zu Schritt abenteuerlicher. Ein Ewigkeitsgefühl? Ein Reichtumsgefühl? Lebens- Aussicht wird vermittelt. Das ist gewiÃ. Der Stein der Stadt stellt ungezählte Wände voll neuer Möglichkeiten des Lebens um dich. Er begleitet dich mit solchen Wänden. Er verlockt â zum Leben. Das Unmögliche lauert mich an. Deshalb der Pflasterstein, der dir all das vorzittert und vorvibriert. Er hat teil. Er ist gesättigt. Der Boden der Städte sei mir geheiligt. Ich gehe im offenen Haus der Stadt.
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London
Ob es damit zusammenhängt, daà ich gerade Jean Amérys Ãber das Altern lese? Ob es mit der altersmäÃigen Verunsi
cherung durch mein Jahr an der ETH Zürich zusammenhängt und jetzt, in London, noch potenziert wird durch die lange ausgelassene Vaterrolle (zudem noch einem Sohn gegenüber, der jetzt ins jugendbewuÃte Alter eines jugendhörigen Zeitalters tritt) â¦Â â jedenfalls stelle ich fest, daà ich mich neuerdings mit dem Problem des Alterns herumschlage. Wenn Valentin mir (halb mutwillig, halb in echter Besorgnis) eine Altmännerhaut attestiert oder eine leibliche Verwahrlosung, wobei er teils ganz gewià ehrlich entsetzt ist, sein Vaterbild modifizieren zu müssen, dann bedeutet dies im Grunde ein erstes Abschreiben des Vaters, er nimmt den Akt der Ablösung voraus. Er erkennt mich als einen älter Gewordenen (älter als er mich in Erinnerung hatte). Es ist dies alles auch ein biÃchen die Anmeldung von Führungsansprüchen der heranwachsenden Generation (wobei man selber in den Schatten der Lebensszene gedrängt
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