Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition)

Titel: Die Belasteten: ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Aly
Vom Netzwerk:
zur Euthanasie. Dr. Bayer hatte den Assistentinnen gegenüber kein Herz und war unnahbar. (…) Wenn jemand widersprechen wollte, wurde er ironisch, spitz und scharf. Ich möchte auch annehmen, dass wir Assistenzärztinnen alle positiv zur Euthanasie an geisteskranken Kindern standen. Ich habe jedenfalls nicht gemerkt, dass irgendeine von uns der Euthanasie ablehnend gegenüberstand.« [209]  
    Lieselotte Albers berichtete, wie sie zum ersten Mal ein Kind tötete: »Auf der Station lag bald nach meinem Eintritt in das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort ein idiotisches Kind. Ich sprach gelegentlich mit der Mutter des Kindes, und diese erklärte mir, dass sie das Kind nicht nach Hause nehmen wolle. Von der Äußerung der Mutter machte ich Dr. Bayer Mitteilung, und Dr. Bayer sagte mir, die Angelegenheit sei in Ordnung. Meiner Erinnerung nach erklärte mir Dr. Bayer bereits bei dieser Rücksprache, dass an solchen Kindern Euthanasie vorgenommen werde. Ich entsinne mich, dass Dr. Bayer mich gefragt hat, ob ich bereit wäre, selbst die Sterbehilfespritze zu verabfolgen, oder ob ich Hemmungen hätte. Ich verneinte diese Frage.« [210]  

Letzte kindliche Lebenszeichen
    Sein Gesichtsausdruck ist immer sehr lebhaft
Der vierjährige Christian wurde Ende 1943 als Forschungsobjekt in die Klinik für Psychiatrie und Neurologie der Universität Heidelberg aufgenommen und, nachdem er gründlich untersucht und als »sehr retardiert« eingestuft worden war, am 29. Juli 1944 in der Kinderfachabteilung Eichberg ermordet. Im Pflegebericht vom 3. Dezember 1943 heißt es über ihn:
    Patient war den ganzen Tag gut aufgelegt. Er sitzt in seinem Bettchen, fixiert seine Hände, bewegt die einzelnen Fingerchen sehr graziös, wackelt mit dem Däumchen, macht die Hände auf und zu, als ob er etwas knetet oder schüttelt – mit beiden Händen, hüpft dann mit dem Oberkörper auf und nieder und quiekt vor Vergnügen. Oder er legt sich auf den Rücken, hebt die Füße in die Höhe und spielt an den Zehenspitzen und haut mit den Füßchen gegen das Bettchen und freut sich, wenn’s rasselt. Oft steckt er den Daumen in den Mund und schnullt daran. Sein Gesichtsausdruck ist immer sehr lebhaft, mal kneift er das linke Auge zu, hält den Kopf etwas schief und blinzelt. Oder er bläst beide Backen auf, als ob er Trompete bläst. Sitzt er aufrecht auf einem Stuhl, kann er sich stundenlang damit beschäftigen, immer den Hinterkopf gegen die Rückenlehne zu schlagen, natürlich nicht so heftig, dass er sich weh tut. Patient ist nicht wasserscheu, er lässt sich gerne baden, hüpft und spritzt im Wasser herum, nimmt das Seifendöschen in den Mund. Oft macht er ein richtiges Schelmengesicht, stützt den Kopf in beide Hände, schmollt mit dem Mund, kneift ein Auge zu und lacht herzhaft dazu. Man kann ihn kräftig schütteln, er kreischt dazu und freut sich. [234]  

Ich habe keine Freude in dieser Anstalt
Friedrich Seyfried wurde am 20. August 1922 geboren, er litt an einer starken Hörbehinderung und lebte seit 1935 in der katholischen Pflegeanstalt Ursberg. Am 25. März 1941 deportierten ihn die Mitarbeiter der Gekrat von dort in die staatliche Anstalt Eglfing-Haar bei München und von dort am 20. Juni 1941 in die Gaskammer von Hartheim. In seinem nachstehenden Brief, den er in gutem Deutsch am 25. Mai 1941 verfasste, erwähnt Friedrich Seyfried seinen ebenfalls aus Ursberg stammenden Kameraden Josef Sporrer. Auch er starb am selben Tag, am selben Ort.
    Liebe Schwester Oberin M. L.! (…) In Eglfing wird mir nun das Leben recht sauer und Sporrer klagt beständig, dass er krank sei und dass daran der üble Geruch, der Staub und Rauch in der Korbflechterei schuld sei, und will daher das Korbbodenmachen gänzlich aufgeben. Auch ich zeig’ keinerlei Freude mehr an der Arbeit und trachte immer, nur recht bald wieder in Ursberg zu sein. Eine andere Neuigkeit kann ich leider nicht mitteilen. Wie lange wird es jetzt noch dauern, bis ich wieder nach Ursberg darf? Wissen Sie vielleicht eine Auskunft, liebe Schwester L., so schreiben Sie mir recht bald darüber. Ich habe keine Freude an dieser Anstalt und will durchaus nicht mehr lang hierbleiben. – Nun, denn geht mein Brief zu Ende, nachdem ich Ihnen einige Zeilen mitgeteilt habe, und (ich) schließe mit der Bitte, mir bald zu schreiben und mir zu helfen durch Ihr Gebet, dass ich bald aus dieser Anstalt entlassen werde und wieder nach Ursberg komme. Es grüßt sie nun und wünscht Euch

Weitere Kostenlose Bücher