Die Berufung
zu schmecken.
Zurück in den Ring. Die Story prangte auf den Titelseiten von Wall Street Journal, Financial Times und USA Today. Nach vier Zeitungen hatte er genug davon, die immer gleichen Aussagen der Anwälte und die immer gleichen Prognosen der Experten zu lesen. Er lehnte sich zurück, trank seinen Kaffee und musste daran denken, wie sehr er Journalisten verachtete. Aber er war nicht k. o. - die Prügel der Presse waren brutal, und es würde noch eine Weile weitergehen, doch er, der große Carl Trudeau, konnte auch die härtesten Schläge einstecken und stand noch auf den Beinen.
Dies war der schlimmste Tag seines Berufslebens, aber morgen würde es ihm wieder besser gehen.
Mittlerweile war es sieben Uhr. Die Börse öffnete um halb zehn. Am Vortag hatte die Krane-Aktie bei Börsenschluss 52,50 Dollar gekostet. Das Plus von 1,25 Dollar verdankte sich der Tatsache, dass die Jury eine Ewigkeit benötigte und dass es so aussah, als könnte sie sich nicht einigen. Die Kommentare der Morgenblätter prophezeiten Panikverkäufe, aber ihre Schadensprognosen für Krane schienen völlig übertrieben.
Er telefonierte mit dem Leiter der Presseabteilung und ließ ihn wissen, er sei für Journalisten und Analysten jeglicher Art nicht zu sprechen - selbst wenn sie ihm die Bude einrannten und vor dem Firmensitz campierten. Er solle sich strikt an die offizielle Verlautbarung halten: »Wir werden Berufung einlegen und sehen dem Ausgang optimistisch entgegen.«
Um Viertel nach sieben traf Bobby Ratzlaff ein, zusammen mit Felix Bard, dem Chief Financial Off icer. Beide hatten gerade mal zwei Stunden geschlafen und waren überrascht, dass ihr Boss sich die Zeit genommen hatte, die Abendveranstaltung im Museum zu besuchen. Nach der üblichen knappen Begrüßung packten sie ihre dicken Akten aus und setzten sich damit an den Konferenztisch. Woran sich in den nächsten zwölf Stunden nichts ändern würde. Es gab jede Menge zu besprechen, doch der wahre Grund ihrer Anwesenheit bestand darin, dass Mr Trudeau in seinem Bunker nicht allein sein wollte, wenn die Börse öffnete und die Hölle losbrach.
Ratzlaff ergriff zuerst das Wort. Als Reaktion auf das Urteil sollte eine Unzahl nachgerichtlicher Maßnahmen eingeleitet werden. Nichts werde sich ändern, der Fall werde einfach an den Supreme Court von Mississippi weitergereicht. »Dieses Gericht war bekannt dafür, tendenziell eher auf der Seite der Kläger zu stehen, doch das beginnt sich zu ändern. Wir haben für den Zeitraum der letzten beiden Jahre die Urteile bei großen Schadenersatzklagen studiert. In der Regel entscheidet das Gericht mit fünf zu vier Stimmen zugunsten des Klägers, aber nicht immer.«
»Wie lange wird es dauern, bis die letzte Berufung überstanden ist?«, fragte Carl.
»Achtzehn bis vierundzwanzig Monate.«
Ratzlaff redete weiter. Wegen der Umweltsünden in Bowmore waren weitere einhundertvierzig Klagen gegen Krane anhängig, ungefähr ein Drittel davon wegen Todesfällen. Laut einer gründlichen Bestandsaufnahme, die er mit seinen Mitarbeitern und Kranes Anwälten in New York, Atlanta und Mississippi erstellt hatte, gab es wahrscheinlich weitere dreibis vierhundert Kläger mit »legitimen« Ansprüchen, was bedeutete, dass Todesfälle, wahrscheinliche Todesfälle oder leichte bis schwere Erkrankungen vorlagen. Es konnte Tausende von Fällen geben, in denen Kläger an Hautausschlag, der Funktionsstörung eines Organs oder hartnäckigem Husten laborierten, doch fürs Erste wurden diese Fälle als nicht ernst zu nehmend klassifiziert.
Weil es kompliziert und kostspielig war, Kranes Verantwortlichkeit für die Erkrankungen zu beweisen, waren die meisten dieser Klagen nicht energisch vorangetrieben worden. Was sich jetzt natürlich ändern würde. »Ich bin mir sicher, dass die Anwälte dieser Jeannette Baker heute Morgen einen schweren Kater haben«, sagte Ratzlaff, ohne seinen Boss zum Lächeln zu bringen. Das gelang nie. Carl blickte die Person, die mit ihm sprach, nie an, und doch entging ihm nichts.
»Wie viele Kläger vertreten die Paytons?«
»Ungefähr dreißig. Wir sind nicht sicher, weil noch nicht in allen Fällen Klage eingereicht wurde. Und es stehen etliche potenzielle Kläger in der Warteschlange.«
»In einem Zeitungsartikel steht, der Fall Baker habe sie fast ruiniert.«
»Stimmt. Sie haben alles ins Pfandhaus gebracht.«
»Bankkredite?«
»Ja, wenn man den Gerüchten Glauben schenken will.«
»Wissen wir, bei welchen Banken sie
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