Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Politprofis und wussten gute Worthülsen zu schätzen.
    Nach einer Stunde sah Walter Utley auf die Uhr und verkündete, dass er seinem Zeitplan etwas hinterherhinke. Seine Agenda enthalte noch weitere wichtige Termine. Er schloss das kurze Treffen mit der Erklärung, dass er von Ron Fisk sehr beeindruckt sei. Der Family Roundtable werde ihn nicht nur gern unterstützen, man werde auch sofort durchstarten, in den Süden runterfahren und auf Stimmenfang gehen. Um den Tisch herum gab es allgemeines Kopfnicken, und Tony Zachary wirkte stolz wie ein frischgebackener Vater.
    »Unsere Pläne fürs Mittagessen haben sich geändert«, sagte Zachary, als sie wieder in der Limousine saßen. »Senator Rudd möchte Sie kennenlernen.«
    »Senator Rudd?«, fragte Ron ungläubig.
    »Genau«, bestätigte Zachary feierlich.
    Myers Rudd hatte die zweite Hälfte seiner siebten Amtszeit im US-Senat hinter sich (insgesamt neununddreißig Jahre). Mindestens vierzig Prozent der Menschen hassten ihn, mindestens sechzig Prozent liebten ihn. Wer auf seiner Seite stand, konnte auf seine Hilfe zählen, alle anderen brachten sich besser in Sicherheit. Er war eine politische Legende in Mississippi, ein Strippenzieher, der in jedem Lokalwahlkampf mitmischte, der König, der die Kandidaten auswählte, der Assassine, der jedem Gegenkandidaten den Garaus machte, die Bank, die jede Kampagne finanzieren und Unsummen von Geld kanalisieren konnte, der weise Alte, der seine Jünger anleitete, und der Schläger, der jeden Widersacher brutal außer Gefecht setzte.
    »Senator Rudd interessiert sich für die Sache?«, erkundigte sich Ron betont beiläufig.
    Zachary warf ihm einen misstrauischen Blick zu. War der wirklich so naiv? »Natürlich. Senator Rudd steht den Leuten, die Sie gerade kennengelernt haben, sehr nahe. Seine Abstimmungserfolge korrespondieren perfekt mit ihren Zielvorgaben. Nicht fünfundneunzigprozentig, nein, perfekt. Er ist einer von dreien im Senat. Die anderen zwei sind Anfänger.«
    Was wird Doreen zu alledem sagen?, dachte Ron. Mittagessen mit Senator Rudd in Washington! Irgendwo in der Nähe des Kapitols bog die Limousine in eine Einbahnstraße ein. »Lassen Sie uns hier raus«, sagte Zachary, und sie waren schneller weg, als der Fahrer aussteigen konnte. Sie steuerten auf eine schmale Tür neben einem alten Hotel namens Mercury zu. Ein betagter Portier in einer grünen Uniform runzelte die Stirn, als sie auf ihn zugingen. »Zu Senator Rudd«, sagte Zachary ohne weitere Förmlichkeiten, und das Runzeln glättete sich etwas. Drinnen wurden sie durch einen leeren, düsteren Speisesaal, dann durch einen Gang geführt. »Das sind die Privaträume des Senators«, erklärte Zachary leise. Ron Fisk war schwer beeindruckt. Die abgetretenen Teppiche und die abblätternde Farbe an den Wänden entgingen ihm nicht, doch das alte Gebäude strahlte Eleganz und vergangene Pracht aus. Es hatte Geschichte. Was war in diesen Wänden alles ausgehandelt worden?
    Am Ende des Ganges betraten sie ein kleines Esszimmer, in dem unübersehbar die Staatsmacht am Werke war. Senator Rudd saß an dem kleinen Tisch, ein Mobiltelefon am Ohr. Ron war ihm noch nie persönlich begegnet, dennoch kam er ihm vertraut vor. Dunkler Anzug, rote Krawatte, dichtes, glänzendes graues Haar, das mit beachtlichen Mengen Haarspray an die linke Kopfseite geklebt war. Ein großes, rundes Gesicht, das von Jahr zu Jahr feister zu werden schien. Nicht weniger als vier Paladine schwärmten um ihn herum wie Bienen, alle mit dringenden Telefonaten zugange, vermutlich miteinander.
    Regierung bei der Arbeit. Zachary und Fisk sahen sich das Spektakel an und warteten schweigend.
    Plötzlich ließ der Senator sein Telefon zuschnappen, woraufhin auch die vier anderen Gespräche schlagartig beendet wurden. »Alle raus«, brummte der hohe Herr, und die Lakaien schwirrten augenblicklich davon. »Zachary!«, sagte er und stand hinter seinem Tisch auf. »Wie geht's?« Ron wurde vorgestellt, dann folgten ein paar Minuten höfliches Geplauder. Rudd schien in Brookhaven alles und jeden zu kennen, eine Tante lebe dort, und er freue sich sehr, diesen Mr Fisk kennenzulernen, von dem er schon so viel gehört habe. Zu einem bestimmten, vorher abgesprochenen Zeitpunkt verkündete Zachary: »Ich bin in einer Stunde zurück«, und verschwand. An seiner Stelle kam ein Kellner im Smoking.
    »Setzen Sie sich«, ordnete Rudd an. »Das Essen hier ist nicht berühmt, aber man ist unter sich. Ich esse hier fünfmal

Weitere Kostenlose Bücher