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Die Beschützerin

Die Beschützerin

Titel: Die Beschützerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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hier.«
    Er sah aus dem Fenster, und ich folgte seinem Blick. Vor dem schmutzigen Grau der Hofmauer glänzten nass und grün die Blätter einer Esche. Im Hof hörte ich Kinder lachen.
    Er knipste eine Leselampe an, öffnete die Schublade im Nachttisch und holte eine flache, fliederfarbene Schachtel heraus. »Das ist das Papier, auf dem der Abschiedsbrief geschrieben wurde. Sie hat es mal geschenkt bekommen.«
    Ich streckte die Hand aus, er reichte es mir rüber und setzte sich auf das Bett. Die zartlila Bögen sahen handgeschöpft aus, nicht glatt wie industriell hergestelltes Papier, sondern von Fasern durchzogen, die eine Geschichte zu erzählen schienen.
    Â»So ein schönes Briefpapier hab ich noch nie gesehen«, sagte ich.
    Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Mag sein, aber Kati hätte niemals einen Brief geschrieben. So was Altmodisches. Vielleicht hätte sie eine E-Mail verschickt. Oder auf Facebook einen Post an ihrer Pinnwand hinterlassen. Aber der eigentliche Beweis für mich ist …«
    Hunzicker saß in dem Lichtkegel wie unter einem Scheinwerfer, auf seinem Gesicht lagen gespenstische Schatten.
    Â»Kati wusste nichts von meiner Affäre mit Vanessa.«

12
    Der Regen wehte graue Schleier über die Felder entlang der Autobahn. Ich fuhr wie in Trance, die Scheibenwischer flitzten hin und her wie die Pendel eines unerbittlichen Hypnotiseurs. Verschwommen huschten Bilder durch meinen Kopf. Gregor und Vanessa …
    Mein Handy klingelte kurz vor dem Wittstocker Kreuz. Ulla machte sich Sorgen, weil sie nicht wusste, wo ich abgeblieben war. Ich berichtete von der Begegnung in Hamburg.
    Â»Komm direkt zu uns«, schlug sie vor. »Tom hat thailändisch gekocht. Es ist noch was übrig.«
    Die Aussicht, in Ullas Küche zu sitzen, etwas Warmes zu essen und anschließend aufs Sofa zu fallen, war verlockend normal. Aber in meinem Leben war nichts mehr normal.
    Â»Das ist lieb von dir, danke. Aber ich glaube, ich möchte allein sein. Einfach nur schlafen«, log ich.
    Sie versuchte, mich zu überreden.
    Â»Sei nicht böse, Ulla, ich möchte mit niemandem reden. Ich ruf dich an.« Ich drückte das Gespräch mit dem Daumen weg.
    Eine Stunde später war ich endlich in Berlin und fand einen Parkplatz vor Gregors Nachbarhaus. Es ging auf Mitternacht zu, doch in der Werkstatt brannte wieder das Licht. Es schien so greifbar nah zu sein: zwanzig Schritte durch den Regen laufen, zu ihm nach Hause kommen, wie ich es schon hunderte Male vorher getan hatte, ihn umarmen. An ihn geschmiegt einschlafen. Meine Sehnsucht nach ihm und der absurde Wunsch, die Zeit zurückzudrehen, alles ungeschehen zu machen, drückten schmerzhaft auf meine Brust. Ich blickte eine Weile durch den Regen auf seine erleuchteten Fenster, bis ich das weiße Auto wahrnahm, das direkt vor der Haustür stand. Es war ein Alfa Romeo. Ich stieg aus, stülpte meine Jacke als Regenschutz über den Kopf. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun wollte. Ich versuchte, in die Werkstatt zu sehen. Sie war leer.
    Da ging die Haustür auf, und Vanessa Ott kam heraus. Sie trug ein rostrotes Kleid, lief auf hohen Absätzen die wenigen Schritte zu ihrem Wagen, stieg ein und fuhr weg. Ich hatte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen können.
    Ich blickte wieder zur Werkstatt hinüber. Nun war Gregor allein. Nur ein paar Meter entfernt.
    Das Gespräch mit Christian Hunzicker ging mir durch den Kopf. Vanessa Ott hatte ihn verführt. Bestimmt hatte sie Gregor mit dem Möbelauftrag geködert, sich als Expertin für Art déco ausgegeben, ihm geschmeichelt, sein Können bewundert. Sie hatte ihm eine Karriere bei dem Online-Auktionshaus in Aussicht gestellt. Und parallel hatte sie ihre Reize als Frau eingesetzt. Hinter ihrer schönen, zerbrechlichen Fassade hatte sie ihren Willen und ihre Fähigkeit zu manipulieren verborgen.
    Ich musste Gregor klarmachen, wer diese Frau war. Er war einem Trugbild aufgesessen. Alles, was sie ihm erzählt hatte, war gelogen.
    Ich setzte einen Fuß auf die Straße, wo das Wasser in einem Bach den Bordstein herunterlief.
    Die Haustür wurde aufgerissen, und Gregor kam heraus. Er zog sich die Kapuze eines Sweatshirts über den Kopf und ging mit eiligen Schritten über die Straße. Ich erstarrte. Seine Bewegungen waren eckig und verkrampft, ich kannte Gregors Körpersprache genau, er musste sehr angespannt oder wütend

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