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Die Beschützerin

Die Beschützerin

Titel: Die Beschützerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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Ich dachte schon, Sie hätten sich gegenseitig angesteckt. Frau Ott hat sich auch gestern krankgemeldet. Genau wie Sie. Es gibt schon merkwürdige Zufälle, nicht?« Er rang sich ein Lächeln ab.
    Â»Ich glaube nicht an Zufälle.« Ich wunderte mich über meine Ruhe. »Genauso wenig wie Sie.«
    Er runzelte fragend die Stirn.
    Â»Ich war gestern in Hamburg.«
    Â»Was soll das heißen?«
    Â»Sie erinnern sich sicher an Katharina Schilling. An die Frau, die sich angeblich in den Tod gestürzt hat.«
    Mark Winter zuckte, als ich den Namen aussprach. »Haben Sie nicht das Gefühl, das alles schon mal erlebt zu haben? Vor einem Jahr, bei IOMAG ?«
    Er lockerte seine Krawatte, als würde sie ihn beim Atmen behindern. »Katharina Schilling. Ja, sie war … sie hatte …« Er holte Luft. »Sie hat Selbstmord begangen. Eine junge Frau, die den Verlust ihres Jobs nicht verkraftet hat. Ein Unglück. So etwas kann passieren, wenn jemand psychisch nicht stabil ist. Bloomsdale Consulting kann einem Unternehmen nur Empfehlungen geben. Der Vorstand entscheidet selbst über Kündigungen und Sozialpläne. Niemand kann uns verantwortlich machen. Schon gar nicht für irgendwelche Kurzschlussreaktionen.«
    Er presste die Fäuste gegeneinander und musterte mich. »Sie sehen noch immer krank aus. Bleiben Sie doch den Rest der Woche zu Hause. Versuchen Sie, sich zu schonen.«
    Â»Haben Sie Angst, dass ich die Nächste bin, die über eine Brüstung fällt? Wie mitfühlend von Ihnen.« Ich konnte meine Wut nicht mehr verbergen. Ich drehte mich um und ging zur Tür.
    Â»Frau Amelung, warten Sie.«
    Ich sah ihn an und bemerkte erst jetzt, wie grau seine Gesichtsfarbe war und wie tief die Schatten unter seinen Augen. Die Sonnenbankbräune war verschwunden.
    Er flüsterte fast. »Wenn Sie … Hilfe brauchen, kontaktieren Sie mich bitte.«
    Ich ging und ließ die Tür offen stehen.
    Eine Viertelstunde später parkte ich direkt vor dem Jazz-Club, in Sichtweite lag Vanessa Otts Wohnhaus. Ich blieb noch einen Moment im Auto sitzen, dachte an das Konzert zurück. Wie glücklich sie ausgesehen hatte, versunken in die Musik, mitschwingend im Takt. Wie schön sie an dem Abend gewesen war. Und wie sie die Blicke der Männer auf sich gezogen hatte. Sie musste Verehrer ohne Ende haben. Warum spannte sie einer Frau wie Katharina Schilling den Verlobten aus? Einen durchschnittlich aussehenden Typ, der ein langweiliges Leben führte und nicht mal Karriere gemacht hatte. Und was wollte sie von Gregor? Gut, er war nicht durchschnittlich. Aber auch er lebte in einer vollkommen anderen Welt als sie. Meine Wut wuchs immer weiter. Was bildete sie sich ein? Hatte sie einfach Spaß daran, fremde Leben kaputt zu machen?
    Ich lief die paar Schritte die Carmerstraße entlang. Vanessa Otts Haus hatte eine sorgfältig restaurierte Stuckfassade. Jede Wohnung besaß einen Balkon. Ich ging auf die Haustür zu, las die Namen auf dem hochglanzpolierten Messingschild. Vanessa Ott, Vorderhaus, dritter Stock. Ich zwang mich, nicht Sturm zu klingeln. Ich drückte den Knopf und wartete. Es tat sich nichts. Mark Winter hatte gesagt, sie habe sich krankgemeldet. Vielleicht war sie beim Arzt. Ich klingelte erneut. »Ja?«, drang ihre Stimme durch die Sprechanlage. »Janne Amelung.« Nach einem Moment summte der Türöffner. Ich durchquerte einen Flur mit dunkelroten Läufern und stieg die Treppen hoch. Es gab kein Zögern und kein Ausweichen mehr. Ich ließ mir keine Lügen mehr auftischen. Was ging vor im Kopf dieser Frau, die sich zu meiner Feindin erklärt hatte, ohne dass ich verstand, warum? Sie öffnete. »Endlich«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Gott sei Dank sind Sie endlich da.«
    Ihre Pupillen waren winzig und das Weiß der Augäpfel mit roten Äderchen durchzogen. Sie hielt einen Arm vor ihren Magen gepresst, mit dem anderen stützte sie sich am Türrahmen ab. Ihr Gesicht war kalkweiß. Offenbar hatte sie sich eilig etwas zum Anziehen übergeworfen, denn ihre Bluse war falsch geknöpft. Ihr Anblick schockierte mich. Kurz sah ich sie vor mir, wie sie in der Bar gestanden hatte, das grüne Tuch im Haar, perfekt gestylt und geschminkt. Wie sie mit Gregor anstieß und ihre Augen strahlten. Jetzt schien sie kurz vor dem Zusammenklappen zu sein. In meinem alten Leben hätte ich den Impuls

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