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Die Beschützerin

Die Beschützerin

Titel: Die Beschützerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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von mir weg und zeigte auf die nasse Bluse, an der Erbrochenes klebte. »Die ziehen Sie am besten aus.«
    Sie knöpfte sie auf, streifte sie ab und ließ sie zu Boden fallen. Sie fror. Ich konnte nicht anders, als sie für einen Moment durch Gregors Augen zu betrachten. Sie trug einen apricotfarbenen BH aus Spitze. Ihre Brüste waren klein, sodass sie ihn nicht gebraucht hätte. Unter ihrer makellosen weißen Haut sah ich jeden Knochen und jede Rippe. Ich konnte mir Gregor und diese Frau nicht zusammen vorstellen, trotzdem hallten ihre Worte durch meinen Kopf, wie viel Spaß er mit ihr gehabt hatte. Ich drängte die absurden Bilder weg, griff nach einem Bademantel am Haken an der Tür und reichte ihn ihr. Als sie die Arme hob, um ihn zu nehmen, sah ich die Schnittwunden an ihren Unterarmen. Sie waren blutverschmiert, und die Wunden bildeten offenbar gerade erst feine Krusten. Sie bemerkte meinen entsetzten Blick, sagte aber nichts.
    Â»Wir müssen … Haben Sie Jod und Verbandszeug?«
    Sie schüttelte den Kopf, als hätte ich einen unsinnigen Vorschlag gemacht. »Das lohnt sich nicht.«
    Hieß das, sie machte das dauernd? Ich wollte es gar nicht wissen.
    Ich half ihr, den Bademantel überzuziehen. Sie wickelte sich darin ein und knotete den Gürtel in der Taille zu. Ich hakte sie unter und brachte sie in den Flur. Ich wusste nicht, warum, aber ich steuerte auf die rechte Tür zu, hinter der ich ein Sofa oder Bett vermutete. In diesem Moment ging dort das Telefon erneut.
    Â»Nein, nicht da rein«, sagte sie scharf und bewegte sich auf die andere Tür zu. Das Klingeln stoppte, und ich hörte eine Männerstimme, die offenbar auf den Anrufbeantworter sprach. Ich konnte die Worte nicht verstehen, aber die Stimme kam mir bekannt vor. Sie klang erregt. Wütend. Und auf einmal hörte ich meinen Namen.
    Der Mann hatte etwas über mich gesagt! Ein Knacken, ein Piepen. Die Ansage war beendet.
    Ich blieb stehen. »Wer war das?«
    Vanessa Ott keuchte, riss sich aus meinem Griff los, lief zum Badezimmer zurück und schloss die Tür. Sie drehte den Schlüssel um. Ich folgte ihr, wartete vor der Tür, hörte, wie sie voller Schmerz keuchte und würgte und sich übergab. Irgendwann wurde es still.
    Ich klopfte, hämmerte dann mit der Faust gegen die Tür.
    Â»Warum gehen Sie nicht endlich?« Ihre Stimme klang matt, aber die Wut darin war nicht zu überhören. »Sie denken, jeder würde Sie brauchen. Aber das stimmt nicht. Sie ahnen gar nicht, wie überflüssig Sie sind.«
    Ich drehte mich um, durchquerte den Flur und öffnete die Tür zu dem Zimmer mit dem Telefon. Es war das Wohnzimmer. Ich erschrak. Vor mir breitete sich ein Schlachtfeld aus. Das Sofa, der Tisch und der Boden waren übersät mit Essensresten und aufgerissenen Packungen. Toastscheiben, zerrupft und zerbröselt, eine geöffnete Dose mit Fisch, aus der Öl auf das Sofa gelaufen war, eine Tüte Erdnussflips, der halbe Inhalt verstreut, ein Sechserpack Muffins. Dazwischen Kekse, Müsliriegel, Schokolade, Wiener Würstchen, ein Jumbobecher mit Vanillepudding. Auf dem Becher war ein kleines, verschmitzt blickendes Mädchen abgebildet. Eine Fernsehwerbung kam mir in den Sinn. Eine Mutter mit weißer Schürze und Holzkochlöffel. Sie rührt voller Hingabe einen Pudding im Topf. Das kleine Mädchen steckt zwei Finger hinein und schleckt sie ab wie ein Kätzchen seine Pfoten. Die Mutter lächelt liebevoll.
    Ich balancierte durch das Chaos zu einem Regal, in dem der Anrufbeantworter stand, spulte zurück und drückte auf »Wiedergabe«.
    Â»Vanessa, was soll das? Geh doch ran.« Das war nicht die Männerstimme von vorhin, es klang nach einer alten Frau. »Ich weiß, dass du zu Hause bist. Du hast dich krankgemeldet. Wolltest du mir das verheimlichen?« Sie seufzte. »Ich krieg doch sowieso alles raus. Hast du gegessen? Drei vernünftige Mahlzeiten. Du willst nicht wieder im Krankenhaus landen, oder? Es war schrecklich für mich, dich mit diesen Schläuchen und Sonden im Körper zu sehen. Meine Schöne … Du warst immer die Schönste von allen.« Eine kurze Pause. »Vanessa? Bist du beim Arzt? Oder …? Triff dich bloß nicht mehr mit ihm. Hörst du? Er nutzt dich nur aus. Er wird dich verletzen, das weiß ich. Wir reden noch mal darüber. Ich melde mich in einer Stunde wieder, dann wirst du

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