Die beste Welt: Roman (German Edition)
verschwand, war ein kollektiver Seufzer zu hören. Ich sah meine Kollegen fassungslos an.
»Sie – Sie alle – haben dieses junge Ding von Kopf bis Fuß angestarrt!« Ich wusste nicht, ob ich mich empören oder amüsieren sollte.
»Regierungsvertreterin Delarua«, sagte Joral in so strengem Ton, dass er sich fast wie Dllenahkh anhörte, wenn er Rügen verteilte. »Es ist zwar richtig, dass wir als Sadiri gegen geistige Ablenkungen resistent sind, aber wir sind durchaus in der Lage, die ästhetischen Reize des weiblichen Körpers zu würdigen.«
Darauf hatte ich nichts zu erwidern, also nahm ich mir Tarik vor. »Na schön, aber Sie … sind verheiratet!«
»Man wird doch wohl noch schauen dürfen«, verteidigte er sich zaghaft.
»Das würde ich an Ihrer Stelle mit Nasiha abklären«, gab ich skeptisch zurück.
Dllenahkhs Stimme klang vollkommen gefasst. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Delarua. Wir Sadiri haben unseren Geist viel zu gut unter Kontrolle, um für die hypnotische Wirkung der Zhinuvier empfänglich zu sein.«
»Ach, und das halten Sie für eine Entschuldigung?« Ich war so nahe daran, ihnen wie bösen Buben mit dem Finger zu drohen, dass ich zurücktrat und stattdessen mit Lian tuschelte. Wir lachten Tränen bei der Vorstellung, Sadiri könnten so etwas wie Lüsternheit verspüren.
Wir hatten Plätze im Parkett nahe am Mittelgang – völlig ausreichend für das, was wir zu sehen und zu hören bekamen. Die Aufführung war im Stil einer »Neo-Oper« gehalten. Darunter versteht man den Verzicht auf Audiotechnik in Verbindung mit dem Einsatz verschiedener moderner Musikstile, eine Form, die den Akteuren viel Stimmkraft und Wandlungsfähigkeit abverlangt. Leider fehlt mir die Zeit, um ausführlicher über die ganze Neo-Oper-Richtung und darüber zu referieren, in welchem Verhältnis sie zur Rustika -Bewegung steht, die gegen akustische Glättung und Verstärkung bei musikalischen Darbietungen und gegen realissimo -Effekte bei Holovid-Produktionen ankämpft. So kann ich nur sagen, dass die Inszenierung eher schlicht ist – nicht minimalistisch, das ist wieder eine andere Stilform –, um eine Laienhaftigkeit vorzuspiegeln, die ganz und gar nicht den Tatsachen entspricht.
Ich war keineswegs überrascht, als sich herausstellte, dass unser geheimnisvolles Goldkind die weibliche Hauptrolle der Nedda spielte. Nur eine Diva konnte sich erlauben, erst so kurz vor der Vorstellung zu erscheinen, ohne mit Entlassung rechnen zu müssen. Überrascht war ich dagegen über ihr züchtig hochgeschlossenes Kostüm, das bis zu den Knöcheln und Handgelenken reichte. Sie war nicht schlecht, vielleicht ein wenig zu schwach im Gesang, was sie jedoch mit Ausstrahlung und Ausdruckskraft wettmachte. Canio, ihr Ehemann, wurde von einem großen, dunklen, schwülen Typen verkörpert, und es schien unausweichlich, dass er den Othello geben würde, denn dieses Mädchen bekam einfach zu viel männliche Aufmerksamkeit. Sie hatte nicht nur einen Liebhaber, Silvio, sondern wurde außerdem von Taddeo mit – ach so unerwünschten – Aufmerksamkeiten verfolgt. Silvio war unerwartet schmächtig, vom Typ eines Gelehrten, aber der burschikose Taddeo war reizend in seiner Verliebtheit, einer Art Gegenentwurf zur gnadenlos zwanghaften Leidenschaft der beiden älteren Männer.
Die Darsteller arbeiteten nicht nach dem terranischen »method acting«. Solche Schauspieler fertigen aus erinnerten Emotionen eine Maske und passen sie der Bühnensituation an. Ihr Spiel wirkt realistisch, aber wenn man weiß, wonach man zu suchen hat, spürt man einen winzigen Bruch. Diese Akteure gehörten zur ntshunischen Wahrhaftigkeitsschule, einer sehr ähnlichen Richtung, die aber nur von Künstlern mit einer Spur von empathischer Begabung zu meistern ist. Im Grunde genommen zehrt jeder Schauspieler von den Gefühlen der anderen, und manchmal genügt ein einziger großer Mime, um den Rest der Truppe zu den Emotionen und Reaktionen zu stimulieren, die das Stück verlangt.
Ich erwähne das nur, um eine Begründung für mein Verhalten zu liefern. Ich »las« nämlich in den Schauspielern.
Die ethischen Grundsätze der Sadiri beim Einsatz von Telepathie und die ethischen Grundsätze der Ntshune beim Einsatz von Empathie sind nämlich sehr verschieden. Bei den Sadiri können Gedanken geteilt werden, dennoch betrachtet man sie überwiegend als privat; Emotionen sind unbedingt privat und so weit wie möglich abzuschirmen. Die meisten Ntshune scheuen
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