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Die beste Welt: Roman (German Edition)

Die beste Welt: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Lord
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sich nicht, fremde Gefühle zu lesen. Das gehört bei uns zur Kommunikation. Wir würden keine Gefühle ausschnüffeln, die nicht für uns bestimmt sind, aber an projizierten Emotionen darf jeder teilhaben. Viele von den Ntshune beeinflussten Kulturen auf Cygnus Beta haben diese Unterscheidung verinnerlicht.
    Als ich mich daher umdrehte und Dllenahkh aufgeregt zuflüsterte, ich finge von einem der Schauspieler auf der Bühne echte Eifersucht auf, traf mich ein Blick, bei dem ich mich fühlte wie Joral, wenn er wieder einmal über korrektes sadirisches Benehmen belehrt wurde. Ich war verwirrt.
    In der Pause nahm er mich beiseite und fragte streng: »Was haben Sie bei Nasiha gelernt?«
    Ich sah ihn strafend an. »Was ich da drin getan habe, hat mit Nasihas Unterricht nichts zu tun. Ich habe nur in den Schauspielern gelesen, wie ich es immer tue.«
    Er blieb unerbittlich. »Die Ausbildung, die Sie erhalten, wird Ihre empathischen Fähigkeiten verbessern und konzentrieren – das macht es besonders unethisch, sie in diesem Stadium leichtfertig einzusetzen. Ich hätte erwartet, dass gerade Sie das begreifen würden.«
    »Dllenahkh! Es sind Schauspieler! Ich wühle nicht nach Staatsgeheimnissen; ich möchte das Stück nur auf einer anderen Ebene erleben! Jetzt machen Sie bitte kein so finsteres Gesicht. Die Leute sehen schon zu uns herüber. Ich glaube nicht, dass sie jemals einen Sadiri im Streit erlebt haben.«
    Er atmete langsam aus. »Ich streite nicht mit Ihnen.«
    Ich hatte ihn bloß necken wollen, aber auf dem Wort streite lag eine ganz schwache Betonung, und er hatte beim Blinzeln die Augen eine Spur zu lange geschlossen. »Natürlich nicht«, sagte ich leise, jäh von Reue erfasst. »Und wenn es Sie stört, werde ich es nicht wieder tun, einverstanden?«
    Im zweiten Akt wurde ich immer wieder durch Dllenahkhs ungewöhnlich schlechte Laune abgelenkt. Er saß neben mir, ganz auf die Bühne konzentriert, aber aus seiner starren Miene schloss ich, dass er die Darbietung eher erduldete, als sie zu genießen. Ich bekam schon ein schlechtes Gewissen, doch als ich zu Joral und Tarik hinüberschaute, waren sie vollkommen in die Handlung vertieft. Es handelte sich also nicht um ein allgemein sadirisches Problem.
    Dann sah ich es. Ich brauchte dazu keine Empathie – das Gesicht des Mannes war wie ein offenes Buch. Als Canio zu Nedda hinüberschaute, sprach aus seinen Augen die pure Mordlust.
    Ich griff nach Dllenahkhs Arm. »Erzählen Sie mir nicht, Sie hätten das nicht bemerkt.«
    »Grace«, protestierte er und schob meine Hand energisch weg.
    Was ich nun tat, war eindeutig unethisch. Genau in dem Moment, in dem sich – eine Seltenheit – unsere Hände berührten, las ich mithilfe meiner emphatischen Begabung Canios Emotionen. Eine hässliche Welle aus Eifersucht und Hass schwappte wie verseuchtes Wasser über uns hinweg. Dllenahkhs Finger krallten sich um die meinen und drückten so fest zu, dass es weh tat. Dann ließ er rasch los.
    »Wie haben Sie das gemacht?« Das klang eher fassungslos als missbilligend.
    »Pst! Hören Sie zu!«, zischte ich. Das waren vielleicht nicht die richtigen Worte, aber er verstand, denn er schob langsam, fast widerwillig, den Arm über meine Stuhllehne und legte mir diskret die Handfläche an die Schläfe.
    Ich konzentrierte mich auf die Szene vor mir. Es war ein hochdramatischer Moment. Canio spielt die Rolle des Pagliaccio und wird von Eifersucht und leidenschaftlicher Liebe so überwältigt, dass er vergisst, dass er auf der Bühne steht, und Nedda bedrängt, ihm den Namen ihres Liebhabers zu nennen. Als er nach einem Messer griff, überlief es mich kalt; als er seine Partnerin von der Mini-Bühne jagte, sie einholte und ihr die Klinge in den Unterleib stieß, sprang ich auf und wandte mich ab. Ich war nicht die Einzige im Publikum, die sich so benahm, aber wohl die Einzige, die sich nicht völlig mit der Handlung identifiziert hatte. Dllenahkh nahm die Hand von meiner Schläfe und klopfte mir beruhigend auf die Schulter.
    Das nächste Opfer war Silvio, aber diesmal war der Angriff frei von Emotionen, ich spürte nur die Maske des Schauspielers, die Fratze aus Schmerz und Abscheu, die noch vom ersten Messerstich zurückgeblieben war. Wieder erschauerte ich.
    »Ich muss hier raus«, murmelte ich, stand auf und verließ den Saal, bevor die letzten Töne der Schlussarie verklungen waren.
    Ich ging im Foyer auf und ab, als Lian auf mich zueilte. »Was war denn los? Sie sahen aus, als wäre

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