Die beste Welt: Roman (German Edition)
sprang er von der kleinen Bühne herab, die auf der großen Bühne stand, um sich mit gespielter Wut auf Nedda zu stürzen. Die Klinge stoßbereit in der Hand, holte er weit aus und zielte damit auf ihren Unterleib.
Doch Nedda war gewarnt. Mein Schrei und (wer weiß?), ein eigener telepathischer oder empathischer sechster Sinn veranlassten sie, anders als am Abend zuvor nicht stehen zu bleiben und sich der Klinge voll zuzuwenden. Stattdessen drehte sie sich zur Seite, konnte aber nicht mehr ausweichen. Die Klinge schlitzte ihr das Kostüm auf und ritzte die Haut. Sie war sofort blutüberströmt, taumelte, fiel auf die Knie und brach vollends zusammen.
Das echte Publikum ließ sich täuschen, keuchte auf und bedachte die unerwartete, hochklassige Sondereinlage mit einem Zwischenapplaus. Das Publikum der Bühnenhandlung dagegen reagierte panisch, denn die Schauspieler wussten nur zu gut, dass diese Entwicklung nicht geplant war.
Irres Kreischen übertönte den allgemeinen Tumult. »Mach ein Ende! Mach ein Ende!« Taddeo riss dem verstörten Canio das Messer aus der kraftlosen Hand und stürzte sich auf Nedda, die blutend, aber bislang noch nicht schwer verletzt auf dem Boden lag.
Mir blieb genug Zeit, um die mittlere Bühnentreppe hinaufzuhasten und mich auf ihn zu stürzen. Fragen Sie mich nicht, wie es dazu kam, ich bin kein weiblicher Superman und hätte mich normalerweise nie zu einer derart kopflosen Aktion hinreißen lassen: Wahrscheinlich lag es an der empathischen Verbindung: Mein Adrenalinspiegel war ebenso hoch wie der seine, und ich hatte schreckliche Angst, dass jemand vor meinen Augen sterben würde. Ich muss auch Nasiha und Dllenahkh überrascht haben, denn sie reagierten mit Verzögerung und mussten sich durch das »Publikum« kämpfen, das wie von Sinnen die Bühnentreppe herunterhastete und in den Orchestergraben sprang.
Als Taddeo mit dem Messer auf mich losging, begriff ich, wie töricht ich gehandelt hatte. Verzweifelt warf ich mich zur Seite. Die Klinge riss an meinem Kleid, durchtrennte den Stoff und schlitzte es vom Bauch bis zur Schulter auf. Zum Glück glitt die Messerspitze zwischen meinen Brüsten hindurch und verfehlte knapp die Karotis-Arterie. Dann gab es einen dumpfen Schlag, und der Angreifer ließ von mir ab. Dllenahkh und Fergus rissen ihn von den Beinen und schleuderten ihn mit solcher Wucht zu Boden, dass er sich sicherlich den einen oder anderen Knochen brach.
»Autsch«, wimmerte ich, ließ mich auf die Bühne fallen und versuchte, mein Kleid vor der Brust zusammenzuhalten.
»Sind Sie verletzt, Delarua?«, fragte Nasiha und kauerte sich neben mich.
»Nein. Oder ja, aber nicht durch das Messer. Ich glaube, ich habe mir beim Ausweichen einen Muskel gezerrt.« Noch während ich sprach, schaute ich an ihr vorbei und suchte nach Nedda. Sie hatte sich aufgerichtet und war von Helfern umgeben. Jemand hatte bereits einen Sanitätskasten geholt und begonnen, die Wunde zu behandeln.
»Ich rufe die Missionsleiterin an.« Nasiha betrachtete das Durcheinander mit leisem Abscheu. »Es kann nicht schaden, wenn ein höherer Beamter unsere … unerhörte Aussage bestätigt.«
Sie hatte recht. Ohne Qeturah hätte man uns womöglich zum Verhör mit auf die Behörde genommen, doch sie erreichte durch ihre Anwesenheit in Verbindung mit der würdevollen Haltung der Sadiri, dass wir von einer sehr höflichen Polizeibeamtin in einer der Garderoben befragt wurden, während ich versuchte, den Riss in meinem Kleid notdürftig mit Klebeband zu schließen. Am Ende teilte uns die Beamtin mit, der Rest des Teams erwarte uns im grünen Zimmer, und wir könnten gehen.
»Wollen Sie uns nicht sagen, was wirklich passiert ist?«, flehte ich.
»Ich kann mich vor dem Verfahren zu dem Fall nicht äußern, Ma’am«, beschied sie mich knapp. Dann sah sie das Flehen in meinen Augen und gab achselzuckend nach. »Sagen wir so, wenn eine Ménage-à-trois zusammenbricht, kann es sehr unappetitlich werden. Ich bin ja immer für einfache Zweierbeziehungen, aber die Städter werden gern kreativ – das geht nicht gegen Sie, Ma’am.«
»Ich fühle mich auch nicht betroffen«, antwortete ich. »Ich bin selbst in einer Siedlung geboren und aufgewachsen. Ich arbeite nur manchmal in der Stadt.«
Das entlockte ihr ein Lächeln, sie bedankte sich bei uns, steckte das Terminal mit unseren Aussagen ein und ging.
Ich stand auf, bewegte zaghaft die Schultern und betrachtete im hell erleuchteten Spiegel meine kläglichen
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