Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bestie im Menschen

Die Bestie im Menschen

Titel: Die Bestie im Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
erhoben die Hände zum Himmel und stießen leidenschaftliche Betheuerungen angesichts des entdeckten Verbrechens aus. Obwohl Niemand etwas Genaueres wissen konnte, behaupteten sie aus den Gesten und von den Gesichtern schon vieles abgelesen zu haben. Das Gewirr der Stimmen überschreiend, betheuerte Philomène, ohne dieses Factum von Jemandem gehört zu haben, auf Ehrenwort, daß Frau Roubaud den Mörder gesehen habe. Erst als Pecqueux mit dieser zurückkehrte, trat Stillschweigen ein.
    »Da sehen Sie nur,« murmelte Frau Lebleu. »Die Frau eines Unter-Inspectors mit der Miene einer Prinzessin! Ehe der heutige Tag anbrach, stand sie schon frisirt und geputzt da, als wollte sie gleich auf Besuch gehen.«
    Séverine kam mit kleinen, regelmäßigen Schritten heran. Sie hatte unter den auf sie gerichteten Blicken eine hübsche Strecke auf dem Perron zurückzulegen. Aber sie wankte nicht, sie hielt nur das Taschentuch vor das Gesicht als Zeichen des großen Schmerzes über das Geschehene. Sie trug ein einfaches, aber elegantes Kleid, es schien, als hatte sie schon Trauer in Folge des Todes ihres Wohlthäters angelegt. Ihre schweren Flechten leuchteten in der Sonne, denn sie hatte sich nicht einmal Zeit genommen, ihr Haupt trotz der Kälte zu bedecken. Ihre sanften blauen, ängstlich blickenden Augen schwammen in Thränen, was sehr rührend aussah.
    »Sie hat guten Grund zu weinen,« sagte Philomène halblaut, »nun man ihnen ihre Vorsehung getödtet, sind sie aufgeschmissen.«
    Als Séverine mitten unter den Leuten vor der offenen Koupeethür stand, kletterten Herr Cauche und Roubaud heraus. Der letztere begann sofort zu sagen was er wußte.
    »Wir sind gestern früh gleich nach unserer Ankunft in Paris zu Herrn Grandmorin gegangen, so war es doch, mein Herz? … Es konnte ungefähr ein Viertel nach elf sein, nicht wahr?«
    Er sah sie scharf an und sie plapperte gelehrig nach:
    »Ja, ein viertel nach elf.«
    Ihre Blicke blieben auf dem vom Blute getränkten Polster haften. Ein krampfartiges Schluchzen hob ihre Brust. Der teilnahmsvolle gerührte Bahnhofsvorsteher legte sich ins Mittel.
    »Wenn Sie diesen Anblick nicht ertragen können –wir begreifen Ihren Schmerz vollkommen, so …«
    »O, nur noch zwei Worte,« unterbrach ihn der Commissär. »Wir entlassen Frau Roubaud dann sofort in ihre Wohnung.«
    Roubaud beeilte sich mit seinem Bericht.
    »Nachdem wir über verschiedene Angelegenheiten geplaudert, theilte Herr Grandmorin uns mit, daß er am folgenden Tage zu seiner Schwester nach Doinville reisen würde … Ich sehe ihn noch vor seinem Schreibtische sitzen. Ich stand hier, meine Frau dort … Nicht wahr, er sagte doch, daß er am nächsten Tage reisen wollte?«
    »Ja, am nächsten Tage.«
    Cauche, der unausgesetzt schrieb, sah auf.
    »Wie, am nächsten Tage? Er ist ja aber noch am selben Abend gereist!«
    »Warten Sie nur,« versetzte der Unter-Inspector. »Erst als er hörte, daß wir noch am selben Abend zurückreisen würden, sprach er die Absicht aus, denselben Zug zu benutzen, wenn meine Frau ihn nach Doinville begleiten wollte, wo sie wie schon früher einige Tage bei seiner Schwester zubringen sollte. Aber meine Frau, die gerade sehr viel zu thun hat, lehnte sein Anerbieten ab … So war es doch?«
    »Ja, ich lehnte es ab.«
    »Und dann wurde er sehr liebenswürdig. Er erzählte sich mit mir etwas und begleitete uns bis an die Thür seines Cabinets. So war es, nicht wahr?«
    »Ja, bis an die Thür.«
    »Am Abend reisten wir ab … Ehe wir in unser Koupee stiegen, habe ich mit Herrn Vandorpe, dem Bahnhofsvorsteher, geplaudert. Ich habe nichts weiter gesehen. Ich ärgerte mich sehr, weil ich mich zuerst allein mit meiner Frau glaubte, bei näherem Hinsehen aber in einer Ecke eine vorher nicht bemerkte Dame sah. Im letzten Augenblick sind dann noch zwei weitere Leute, ein Ehepaar, eingestiegen … Bis Rouen ist mir nichts Außergewöhnliches aufgefallen … In Rouen stiegen wir aus, um uns die Beine etwas zu vertreten. Wir waren aber nicht wenig erstaunt, drei oder vier Waggons von dem unsrigen entfernt Herrn Grandmorin an einer Koupeethür stehen zu sehen. »Wie, Herr Präsident, Sie sind doch gereist? Daran haben wir, weiß Gott, nicht gedacht, noch mit Ihnen zusammen zu fahren!« Er erzählte uns, er habe eine Depesche erhalten … Dann pfiff es, wir gingen schnell zu unserm Koupee zurück, welches jetzt nebenbei bemerkt, leer war, da unsere Reisegenossen in Rouen geblieben waren, worüber wir uns übrigens

Weitere Kostenlose Bücher