Die Bestien - Thriller (German Edition)
erzählen. Aber okay, ich sag‘s dir einfach ganz direkt. Erinnerst du dich noch, dass ich dir erzählt habe, dass ich im Gefängnis war?«
»Ja, und du hast das Tattoo, das es beweist.«
»Nun, der Grund, weshalb ich dort war …« Jim seufzte. »Ich habe einen Mann getötet.«
Jim sah die Überraschung in Darlenes Augen. »Aber er hatte es verdient, oder? Ich meine, du hast den Typen nich‘ grundlos umgebracht oder so, oder?«
Jim räusperte sich. »Tja, genau das ist ja die Scheiße – ich kann mich nicht erinnern.«
»Kannst du nich‘?«
»Alles, was ich weiß, ist, dass ich einen Mann getötet habe und dass es irgendwie mit dem Tod meiner Schwester zu tun hat. Verstehst du, ich kann mich nicht an die Nacht erinnern, in der meine Schwester gestorben ist, die Nacht, in der ich den Mann getötet habe. Sie sagen, der Schock über die ganze Sache sei einfach zu groß und dass ich unter einer Art Amnesie leide. Ich erinnere mich noch daran, dass ich den Schnapsladen ausgeraubt hab … aber dann ist das Nächste, was ich noch weiß, dass ich im Gefängnis sitze. Ich kann mich nicht mal mehr an Suzies Beerdigung erinnern, aber man hat mir gesagt, dass ich dabei gewesen bin. Alles, was ich weiß, ist, dass Suzie tot ist und ich dieses Schuldgefühl in mir trage, das mich jetzt seit achtzehn Jahren begleitet.«
»Warum fühlst du dich denn schuldig? Du hast deine Schwester doch nich‘ umgebracht.«
»Ich weiß, aber ich fühle mich trotzdem irgendwie dafür verantwortlich. Ich weiß nicht, warum. Ich schätze, das werde ich auch nie herausfinden.«
»Hast du ’nen Schlag auf den Kopf gekriegt oder wie?«
»Nein. Manchmal verdrängen die Menschen schmerzvolle Erfahrungen einfach aus ihrem Leben. Es ist zu viel für sie, sich daran zu erinnern, also sorgen sie dafür, dass sie … verschwinden, schätze ich. So ist es einfacher für sie, weiterzuleben. Suzie ist tot, und es gibt nichts, was ich tun könnte, um sie wieder zurückzubringen.«
»Macht‘s dir was aus, dass du dich nich‘ an diese Nacht erinnern kannst?«
»Manche Dinge bleiben besser vergessen.«
»Aber willst du nich‘ lieber wissen, was passiert is‘? Wär das nich‘ besser, als sich zu verstecken?«
»Ich verstecke mich ja nicht«, wehrte sich Jim, vielleicht ein wenig zu barsch. »Ich kann mich nur nicht daran erinnern, das ist alles. Verdammt, ich würde diese Nacht sowieso nicht noch einmal durchleben wollen. Ich will nicht sehen, wie Suzie … Na ja, wie dem auch sei – das ist Vergangenheit.«
Stille folgte, dann sagte er: »Es tut mir leid.«
»Schon okay«, versicherte Darlene. Dann, leiser: »Also, wie sehr erinnere ich dich an sie? War sie hübsch?«
Jim lächelte bei der Erinnerung an seine kleine Schwester. »Sie war sogar sehr hübsch. Ihr zwei hättet Geschwister sein können.«
»Ehrlich? So ähnlich sehen wir uns?«
»So sehr, dass es mir Angst macht.« In Wahrheit sahen Darlene und Suzie sich gar nicht so ähnlich, zumindest nicht so sehr, wie er zunächst gedacht hatte. Aber in diesem Fall, fand er, tat eine Lüge niemandem weh.
»Mir hat noch nie wer gesagt, dass ich hübsch bin.«
»Das liegt daran, dass alle in dieser Stadt hier verrückt sind.«
Darlene lachte kurz. Es war schön, ihr Lachen zu hören, aber es dauerte nicht lange an. Sie hörte auf, schnappte nach Luft und zuckte vor Schmerzen zusammen. »Tut weh, wenn ich lache.«
»Wie fühlst du dich sonst? Glaubst du, du bist schon so weit, dass du dich bewegen kannst?«
Darlene nickte. »Ja. Ich fühl mich kräftiger. Lass uns gehen.«
Jim erhob sich.
Als Darlene ebenfalls aufgestanden war, reichte Jim ihr die Kerze. »Hier, nimm du die. Ich klettere erst mal nach oben und sehe mich um. Wenn die Luft rein ist, rufe ich dich, dann kannst du nachkommen. Aber blas vorher die Kerze aus.«
Er ging zu der Leiter hinüber und fing an zu klettern.
Seine linke Schulter protestierte, und ein entsetzliches Brennen schoss seinen Arm hinauf und hinunter, aber er biss die Zähne zusammen und kämpfte sich weiter.
Als er das Ende des Schachts erreichte, hob er das Gitter mit einer Hand vorsichtig an und linste über den Rand des Lochs. In einiger Entfernung stand, vom fleckigen Mondlicht erhellt, ein Mann.
Er war groß und schlaksig und trug eine Baseballmütze auf seinem unverhältnismäßig kleinen Kopf. Er war vielleicht sieben Meter entfernt. In einer Hand baumelte ein Gewehr, und ein Finger seiner anderen Hand steckte in seiner Nase. Jim beobachtete,
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