Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
Vom Netzwerk:
Eine der vier Wände besteht aus Spiegeln. Ich begreife das nicht. Das ist verboten. Ich darf keine Spiegel haben.
    Ich wage einen Blick auf mein Spiegelbild. Meine Augen sind riesengroß, das Bett mit den grauen Bezügen ist frisch gemacht, und da sind der Kleiderschrank mit meinen Sachen, das Bücherregal, die kahlen Wände.
    Mein Blick fällt auf das Fenster hinter mir.
    Und auf den Mann, der draußen steht, reglos wie eine Statue.
    Vor Schreck läuft es mir eiskalt über den Rücken. Ich kenne den Mann. Es ist das Narbengesicht vom Eignungstest. Er ist ganz in Schwarz gekleidet. Ich blinzle. Rechts und links von ihm tauchen zwei weitere Männer auf, sie stehen so reglos da wie er, aber sie haben kein Gesicht– es sind Totenköpfe, mit Haut überzogene Schädel.
    Ich drehe mich blitzschnell um, und da stehen sie auch schon in meinem Zimmer. Halt suchend lehne ich mich an den Spiegel.
    Einen Moment lang ist es still im Zimmer, aber dann trommeln Fäuste gegen mein Fenster, nicht nur zwei oder sechs, es sind Dutzende Fäuste und Dutzende Finger, die gegen das Glas schlagen. Der Lärm ist so laut, dass er in meinem Brustkorb weitervibriert. Und dann kommen der Narbengesichtige und seine zwei Begleiter langsam auf mich zu.
    Sie sind hier, um mich zu fangen, wie damals Peter und Drew und Al. Sie sind hier, um mich zu töten.
    Eine Simulation. Es ist nur eine Simulation, nichts weiter. Mein Herz hämmert wie verrückt. Ich drücke die Hand gegen das Glas hinter mir und es verschiebt sich langsam nach links. Hinter dem Spiegel ist eine Schranktür. Ich zwinge mich, ganz fest an eine Waffe zu denken, überlege, wo sie hängen könnte. Jetzt weiß ich es: Sie hängt an der rechten Wand, nur einen Fingerbreit von meiner Hand entfernt. Ich lasse das Narbengesicht nicht aus den Augen und taste nach der Waffe, lege die Hand auf den Schaft.
    Ich beiße mir auf die Lippe, bis es wehtut– und dann schieße ich auf das Narbengesicht. Ich warte nicht erst ab, ob ich ihn getroffen habe, sondern ziele auf die beiden gesichtslosen Männer. Das Klopfen am Fenster hat aufgehört, stattdessen höre ich ein Kreischen, und die Fäuste sind jetzt krallenhafte Finger, die am Glas kratzen und unbedingt hereinwollen. Unter der Wucht knackt das Glas, dann springt es und zersplittert.
    Ich stoße einen lauten Schrei aus.
    Die Munition reicht nicht.
    Bleiche Gestalten stürzen herein – mit menschlichen Konturen zwar, aber grässlich ausgemergelt, die Arme seltsam verdreht, dazu viel zu große Münder mit nadelscharfen Zähnen und grausig leeren Augenhöhlen. Einer nach dem anderen schlurft und taumelt auf mich zu. Ich verstecke mich im Schrank und schließe die Tür von innen. Was jetzt? Ich brauche dringend eine zündende Idee. Ich gehe in die Hocke und drücke den Schaft der Waffe an mein Gesicht. Ich kann es nicht mit ihnen aufnehmen, das ist ausgeschlossen. Also muss ich mich beruhigen, denn die Simulation registriert sofort, wenn mein Herzschlag langsamer und mein Atem ruhiger geworden ist, und leitet mich zur nächsten Prüfung weiter.
    Ich setze mich auf den Schrankboden. Die Wand hinter mir knirscht. Ich höre Klopfen– es sind wieder die Fäuste, die gegen die Schranktür trommeln–, aber ich drehe mich, so gut es geht, zur Seite und starre im Dunkeln auf das hintere Schrankbrett. Es ist keine Wand, sondern eine Tür. Ich fummle daran herum und sie geht auf. Vor mir liegt der Gang im Obergeschoss. Erleichtert klettere ich durch die Öffnung nach draußen. Ich rieche Gebackenes. Ich bin zu Hause.
    Ich hole tief Luft und sehe zu, wie unser Haus verschwindet. Einen kostbaren Moment lang habe ich vergessen, dass ich im Hauptquartier der Ferox bin.
    Und dann steht Tobias vor mir.
    Aber ich fürchte mich doch nicht vor Tobias? Ich drehe mich um. Vielleicht ist hinter mir etwas, wovor ich mich fürchten muss. Nein– hinter mir steht nur ein Himmelbett.
    Ein Bett?
    Langsam tritt Tobias noch näher an mich heran. Was geht hier vor?
    Wie benommen starre ich ihn an. Er lächelt. Sein Lächeln ist freundlich. Vertraut.
    Er drückt seinen Mund auf meinen und ich öffne die Lippen. Ich dachte immer, ich könnte mich in einer Simulation nicht völlig vergessen. Ich habe mich getäuscht. Seinetwegen verschwimmt alles um mich herum.
    Seine Finger ertasten den Reißverschluss meiner Jacke. Er zieht ihn langsam herunter, öffnet die Jacke und streift sie von meinen Schultern.
    Oh. Mehr kann ich nicht denken, als er mich wieder küsst. Oh.
    Das also

Weitere Kostenlose Bücher