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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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noch fester, aber ich bin nicht stark genug– die Brandung reißt mich hoch und die Welle wirft mich zurück. Meine Beine werden durch die Luft geschleudert, ich purzle kopfüber, rudere mit den Armen und pralle schließlich rücklings gegen den Felsen. Das Wasser spült über mein Gesicht hinweg. Ich schnappe nach Luft, drehe mich um und kriege einen vorstehenden Felsbrocken zu fassen, an dem ich mich hochziehen kann. Und schon trifft mich die nächste Welle, stärker als die vorherige, aber jetzt habe ich einen besseren Halt.
    Ich brauche mich nicht vor dem Wasser zu fürchten, ich muss vielmehr aufpassen, dass ich meine Beherrschung nicht verliere. Es geht um Selbstbeherrschung, und die kann ich nur wiedererlangen, wenn ich die Kontrolle behalte. Mit einem Aufschrei strecke ich die Hand aus und grabe die Finger in eine Vertiefung im Fels. Meine Arme zittern wie verrückt, als ich mich mühsam daran hochziehe. Ich stemme die Beine auf, bevor mich die nächste Welle mitreißen kann. Kaum spüre ich festen Grund unter den Füßen, stehe ich auf und beginne zu rennen, meine Füße fliegen über die Steine, ich laufe dem roten Mond entgegen und lasse das Meer hinter mir.
    Und dann ist alles verschwunden und ich bin ganz ruhig. Viel zu ruhig. Ich will meine Arme bewegen, aber sie sind an meiner Seite festgebunden. Ich blicke an mir hinunter. Ein Seil ist um meine Brust geschlungen, um meine Arme, um meine Beine. An meinen Füßen stapelt sich Holz und hinter mir ist ein Pfahl. Ich hänge ein gutes Stück über der Erde.
    Aus den Schatten tauchen Menschen auf, ich kenne ihre Gesichter. Es sind die anderen Anfänger, sie tragen Fackeln, und an der Spitze der Meute steht Peter. Seine Augen sehen aus wie schwarze Höhlen und sein Grinsen ist entsetzlich breit, es gräbt tiefe Falten in seine Wangen. Aus der Mitte der Schar kommt ein Lachen. Es wird lauter und lauter, nacheinander fallen alle in das Lachen ein. Das höhnische Gelächter verdrängt alles andere.
    Unter dem Gejohle der anderen hält Peter seine Fackel an das Holz und sogleich züngeln die ersten Flammen. Sie sengen das Holz an den Rändern an, fressen sich durch die Rinde. Ich versuche nicht, meine Fesseln abzustreifen, wie beim ersten Mal, als ich mit dieser Angst konfrontiert wurde. Stattdessen schließe ich die Augen und hole ganz tief Luft. Das ist nur eine Simulation. Sie kann mir gar nichts anhaben.
    Die Hitze der Flammen steigt hoch. Ich schüttle den Kopf. Ich werde nicht klein beigeben.
    » Riechst du das, Stiff?«, fragt Peter. Seine Stimme übertönt sogar das Prasseln des Feuers.
    » Nein«, antworte ich. Die Flammen schlagen höher.
    Er zieht die Luft ein. » So riecht dein verbranntes Fleisch.«
    Als ich die Augen aufschlage, sehe ich alles verschwommen und durch Tränen.
    » Weißt du, was ich rieche?« Ich schreie, damit ich das Gelächter übertöne, das Gelächter, das mir mehr zu schaffen macht als die Hitze. Meine Arme zittern, ich würde die Seile am liebsten mit Gewalt abstreifen, aber ich tue es nicht, ich werde keinen aussichtslosen Kampf führen. Ich werde nicht in Panik verfallen.
    Durch die Flammen starre ich auf Peter, die Hitze lässt meine Haut bluten, sie durchströmt mich, sengt meine Schuhkappen an.
    » Ich rieche Regen«, sage ich laut.
    Donnergrollen rollt über mich hinweg. Ich schreie auf, als die Flammen an meinen Fingerspitzen lecken und ein wilder Schmerz durch alle Glieder schießt. Ich lege den Kopf in den Nacken und denke nur noch an die schwarzen Wolken, die sich über meinem Kopf zusammenbrauen, schwer und dunkel vom Regen. Ein Blitzstrahl zuckt über den Himmel und ich spüre die ersten Regentropfen auf meiner Stirn. Schneller, schneller! Ein Regentropfen kullert über meine Nase, ein zweiter fällt auf die Schulter, groß und hart wie ein Stück Eis oder Fels.
    Regenschleier hüllen mich ein. Über das Gelächter hinweg höre ich es zischen. Ich lächle, froh, dass der Regen das Feuer löscht und die Brandwunden an meinen Händen kühlt. Die Seile fallen von mir ab. Erleichtert fahre ich mir mit der Hand durchs Haar.
    Ich wünschte, ich wäre wie Tobias und müsste mich nur vier Ängsten stellen. Aber so furchtlos bin ich leider nicht.
    Ich ziehe mein T-Shirt gerade, und als ich aufblicke, befinde ich mich in meinem alten Schlafzimmer bei den Altruan. Das trifft mich unvorbereitet, denn diese Angst kenne ich noch nicht. Das Licht ist aus, aber das Mondlicht, das durch die Fenster scheint, erleuchtet den Raum.

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