Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
verliere, drehe ich mich um und presse meine Stirn an den Lauf der Waffe.
Mach schon, erschieß mich.
» Eins!«
Ich höre ein Klicken, dann einen Knall.
31 . Kapitel
Die Lichter gehen an. Ich stehe allein in einem leeren Raum mit Betonwänden. Zitternd falle ich auf die Knie und schlinge die Arme um mich. Als ich hereinkam, war es hier nicht kalt, aber jetzt kommt es mir eisig vor. Ich rubble meine Arme, damit die Gänsehaut verschwindet.
Noch nie im Leben war ich so unendlich erleichtert wie jetzt. Die Anspannung fällt von mir ab und ich atme wieder frei. Wie bringt Tobias es nur fertig, in seiner Freizeit durch seine Angstlandschaft zu gehen? Bisher habe ich es für Mut gehalten, jetzt kommt es mir wie Masochismus vor.
Die Tür geht auf. Max, Eric, Tobias und ein paar Leute, die ich nicht kenne, kommen nacheinander herein und bleiben vor mir stehen. Tobias lächelt.
» Glückwunsch, Tris«, sagt Eric. » Du hast deine letzte Prüfung erfolgreich bestanden.«
Ich will lächeln, aber ich schaffe es nicht. Ich kann die Erinnerung an das, was gerade passiert ist, nicht so schnell verscheuchen. Ich spüre immer noch den Lauf zwischen meinen Augen.
» Danke«, sage ich.
» Da ist noch etwas, ehe du gehen und dich auf das Willkommensbankett vorbereiten kannst«, sagt Eric. Auf seinen Wink hin tritt eine mir unbekannte Frau mit auffallenden blauen Haaren neben ihn und drückt ihm eine kleine schwarze Schachtel in die Hand. Er macht sie auf und nimmt eine Spritze mit einer sehr langen Nadel heraus.
Der Anblick erschreckt mich. Die orangebraune Flüssigkeit erinnert an die Injektionen, die man vor den Simulationen verabreicht bekommt. Und ich dachte, ich hätte es endlich hinter mir.
» Zum Glück hast du keine Angst vor Nadeln«, sagt er. » Wir werden dir ein Mittel einspritzen, mit dessen Hilfe man deinen Aufenthaltsort orten kann. Es wird nur dann aktiviert, wenn du als vermisst giltst. Eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
» Wie oft werden denn Leute vermisst?«, frage ich misstrauisch.
» Nicht oft.« Eric grinst zufrieden. » Diese neue Errungenschaft haben wir den Ken zu verdanken. Wir haben heute allen Ferox eine solche Spritze verpasst, und ich nehme an, die anderen Fraktionen werden es in Kürze ebenso machen.«
Mein Magen verkrampft sich. Ich darf es nicht zulassen, dass er mir etwas spritzt, besonders dann nicht, wenn die Ken dabei ihre Finger im Spiel haben– vielleicht sogar Jeanine. Aber widersetzen kann ich mich auch nicht. Wenn ich mich weigere, wird er erneut an meiner Loyalität zweifeln.
» In Ordnung«, stoße ich hervor.
Eric kommt mit der Spritze auf mich zu. Ich streiche das Haar zurück und lege den Kopf schief. Ich schaue weg, als Eric die Haut mit einem antiseptischen Tupfer abwischt und die Nadel einsticht. Es ist ein wilder Schmerz, heftig, aber kurz. Eric legt die Spritze wieder in die Schachtel und klebt ein Heftpflaster auf die Einstichstelle.
» Das Festessen ist in zwei Stunden«, sagt er. » Dann erfährst du auch deine endgültigen Ergebnisse. Viel Glück.«
Einer nach dem anderen verlässt den Raum, nur Tobias trödelt noch herum. Er bleibt an der Tür stehen und bedeutet mir, ihm zu folgen.
Auf der Glasdecke über der Grube wimmelt es von Ferox, einige von ihnen balancieren auf den hohen Seilen, einige stehen in Grüppchen beisammen, andere reden und lachen.
Tobias lächelt. » Gerüchteweise habe ich gehört, dass du nur sieben Ängste überstehen musstest. Das ist wirklich äußerst bemerkenswert.«
» Hast du… hast du die Simulation mitverfolgt?«
» Nur draußen auf den Bildschirmen. Die Anführer der Ferox sind die Einzigen, die alles sehen«, sagt er. » Sie schienen sehr beeindruckt zu sein.«
» Sieben Ängste sind nicht so beeindruckend wie vier«, sage ich, » aber es wird wohl reichen.«
» Jede Wette, du bist Erste«, sagt er. » Alles andere würde mich wundern.«
Wir betreten den Vorraum. Es sind immer noch einige Leute da, aber nicht mehr ganz so viele wie zuvor.
Nach ein paar Sekunden werden sie auf uns aufmerksam. Ich bleibe dicht neben Tobias, als sie auf mich zeigen und miteinander tuscheln, aber ich kann gar nicht schnell genug entfliehen, um dem Beifall, dem Schulterklopfen und den Glückwünschen zu entgehen. Wieder einmal fällt mir auf, wie fremdartig sie auf meinen Vater und meinen Bruder wirken müssten und wie normal sie mir nun vorkommen, trotz der Metallringe in ihren Gesichtern und den Tattoos auf Armen, Nacken und Brust. Ich
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