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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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nicht spüren kann. Statt der nackten Röhren ist jetzt ein grüner Himmel über mir. Ich lausche den Vögeln und spüre meine Angst als etwas Entferntes, als ein pochendes Herz oder eine Last auf der Brust, aber nicht als etwas, was sich in meinem Kopf abspielt. Tobias hat gesagt, ich muss herausfinden, um was es bei der jeweiligen Simulation wirklich geht. Er hat recht. Es geht nicht um die Vögel. Es geht um Selbstbeherrschung.
    Flügel klatschen dicht neben meinem Ohr, Krallen graben sich in meine Schulter.
    Diesmal schlage ich nicht nach dem Federvieh. Ich bücke mich, lausche auf das Rauschen der Flügel hinter mir und streiche mit der Hand übers Gras, ganz dicht über dem Boden. Womit bekämpft man Schwäche? Mit Kraft. Und das erste Mal, als ich bei den Ferox meine Kraft fühlte, war, als ich eine Waffe in der Hand hielt.
    Ich habe einen Kloß im Hals, ich will, dass die Krallen verschwinden. Der Vogel kreischt und mein Magen krampft sich zusammen, doch dann fühle ich etwas Hartes, Metallenes im Gras. Eine Waffe.
    Ich richte den Lauf auf den Vogel, der auf meiner Schulter hockt, und drücke ab. Er wird wie ein Ball aus Blut und Federn von meiner Schulter gefegt. Ich drehe mich blitzschnell um, ziele nach oben, mitten in die flatternde Wolke über mir. Ich drücke den Abzug, schieße und schieße in das Meer aus Vögeln und sehe zu, wie ihre schwarzen Leiber nacheinander ins Gras fallen.
    Während ich ziele und schieße, verspüre ich wieder dasselbe Gefühl von Macht wie damals, als ich zum ersten Mal ein Gewehr in meiner Hand gehalten habe. Mein Herzschlag hört auf zu rasen, und das Feld, das Gewehr und die Vögel lösen sich in nichts auf. Ich stehe wieder im Dunkeln.
    Ich trete von einem Fuß auf den anderen. Meine Sohlen quietschen. Ich bücke mich und stoße mit der Hand an eine kalte, glatte Fläche– Glas. Auch rechts und links von mir ertaste ich Glas. Es ist wieder der Tank. Ich habe keine Angst zu ertrinken. Hier geht es nicht um Wasser, hier geht es darum, dass ich nicht entfliehen kann. Es geht um Schwäche. Ich muss nur fest davon überzeugt sein, dass ich stark genug bin, das Glas zu zerbrechen.
    Die blauen Lichter gehen an. Das Wasser bedeckt den Boden, aber ich werde nicht erst abwarten, bis es weitersteigt. Ich schlage mit dem Handballen gegen die Wand, in der Hoffnung, dass die Scheibe zersplittert.
    Meine Hand prallt ab, das Glas bleibt ganz.
    Mein Herzschlag beschleunigt sich. Was, wenn das, was in der ersten Simulation geklappt hat, hier nicht funktioniert? Was, wenn ich das Glas nicht zerbrechen kann? Das Wasser umspült jetzt meine Knöchel, es strömt immer schneller herein. Beruhige dich, Tris. Beruhige dich und denke nach.
    Ich lehne mich mit dem Rücken an die Wand und trete mit aller Kraft gegen das Glas. Und dann noch einmal. Meine Zehen tun weh, aber nichts passiert.
    Ich habe noch eine andere Möglichkeit. Ich kann warten, bis der Behälter voll ist– das Wasser reicht mir schon bis an die Knie–, und beim Ertrinken versuchen, ruhig zu werden. Ich lasse mich gegen die Glaswand sinken. Nein. Ich darf nicht ertrinken. Das halte ich nicht aus.
    Ich balle die Hände zu Fäusten und trommle an die Wand. Ich bin stärker als das Glas. Das Glas ist so dünn wie frisches Eis. Meine Willensstärke wird es dazu machen. Ich schließe die Augen. Das Glas ist Eis. Das Glas ist Eis. Das Glas ist…
    Das Glas zersplittert und das Wasser ergießt sich auf den Boden. Dann kehrt die Dunkelheit zurück.
    Ich schüttle das Wasser von den Händen. Das hätte eigentlich eine leichte Aufgabe sein sollen, ich kannte sie ja schon aus den Simulationen. Jetzt habe ich kostbare Zeit verloren, und das kann ich mir nicht leisten.
    Plötzlich trifft mich etwas an der Seite, es fühlt sich an wie eine massive Wand. Mir bleibt die Luft weg und ich falle der Länge nach hin. Ich kann nicht schwimmen. So viele, so mächtige Wassermassen kenne ich nur aus Filmen. Unter mir ist ein zerklüfteter Felsen, er ist rutschig und glatt. Das Wasser zerrt an meinen Beinen, aber ich klammere mich an dem Felsen fest. Auf den Lippen habe ich Salzgeschmack. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen dunklen Himmel und einen blutroten Mond.
    Schon kommt die nächste Welle, sie trifft mich am Rücken, und ich knalle mit dem Kinn gegen das Gestein. Das Meer ist kalt, aber mein Blut nicht, es rinnt warm den Hals hinunter. Mit ausgestreckten Armen taste ich nach einer Felskante. Das Wasser zerrt erbarmungslos an mir. Ich klammere mich

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