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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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auch meine Gesichtszüge weicher und voller. Ich bin nicht hübsch– meine Augen sind zu groß und meine Nase ist zu lang–, aber Christina hat recht, mein Gesicht ist irgendwie bemerkenswert.
    Wie ich mich so anschaue, ist es, als sähe ich ein fremdes Mädchen zum ersten Mal. Beatrice war eine Person, die sich nur heimlich im Spiegel betrachtete und die am Esstisch zu schweigen hatte. Dieses Mädchen hier fordert hingegen meine Aufmerksamkeit heraus, sie hält ungerührt meinem Blick stand. Dieses Mädchen ist Tris.
    » Siehst du«, sagt Christina. » Du siehst… beeindruckend aus.«
    Unter den gegebenen Umständen ist es das größte Kompliment, das sie mir machen konnte. Ich lächle sie im Spiegel an.
    » Gefällst du dir?«, fragt sie.
    » Ja.« Ich nicke. » Ich sehe aus… wie ein anderer Mensch.«
    Sie lacht. » Ist das gut oder schlecht?«
    Ich betrachte mich wieder im Spiegel. Zum ersten Mal beunruhigt mich der Gedanke, keine Altruan mehr zu sein, nicht, sondern erfüllt mich mit Zuversicht.
    » Es ist gut.« Ich schüttle den Kopf. » Tut mir leid, dass ich mich gar nicht mehr losreißen kann, aber zu Hause durfte ich nie so lange in den Spiegel schauen.«
    » Tatsächlich?« Christina legt den Kopf schief. » Ich muss schon sagen, diese Altruan sind merkwürdige Käuze.«
    » Lass uns gehen und zuschauen, wie Al sein Tattoo bekommt«, sage ich. Auch wenn ich meiner alten Fraktion den Rücken gekehrt habe, möchte ich nicht schlecht über sie reden.
    Zu Hause haben meine Mutter und ich zweimal im Jahr neue Kleider geholt, die immer mehr oder weniger gleich aussahen. Wenn alle das Gleiche bekommen, macht die Zuteilung keine Probleme. Hier ist alles viel abwechslungsreicher. Jeder Ferox erhält eine gewisse Anzahl Punkte, die er jeden Monat verbrauchen kann. Kleidung kostet beispielsweise einen Punkt.
    Christina und ich rennen den schmalen Pfad hinunter zum Tattoo-Studio. Dort sitzt Al schon auf einem Stuhl und ein kleiner, schmächtiger Mann, bei dem mehr Tattoos als blanke Haut zu sehen sind, zeichnet gerade eine Spinne auf Als Arm.
    Will und Christina blättern Musterbücher durch und stoßen sich gegenseitig an, wenn sie auf ein Tattoo stoßen, das ihnen gefällt. Während sie so nebeneinandersitzen, fällt mir auf, wie gegensätzlich die beiden sind. Christina ist dunkelhäutig und schlank, Will hingegen blass und kräftig, aber beide haben das gleiche unbeschwerte Lächeln.
    Ich vertreibe mir die Zeit, indem ich die Kunstwerke an den Wänden betrachte, die von den Amite stammen müssen– der einzigen Fraktion, die Kunst hervorbringt. Die Altruan betrachten Kunst als unnütz, die Beschäftigung mit Kunst ist für sie vergeudete Zeit, die man besser damit verbringen könnte, anderen zu helfen. Natürlich kenne ich Kunstwerke aus meinen Schulbüchern, aber ich war noch nie in einem Raum, der mit Bildern geschmückt ist. Sie schaffen eine freundliche, warme Atmosphäre, ich könnte Stunden hier verbringen, ohne mich zu langweilen. Mit den Fingerspitzen fahre ich die Wände entlang. Das Bild eines Falken erinnert mich an Toris Tattoo. Gleich darunter hängt die Skizze eines fliegenden Vogels.
    » Das ist ein Rabe«, sagt jemand hinter mir. » Schön, nicht wahr?«
    Ich drehe mich um. Hinter mir steht Tori. Sofort fühle ich mich in den Raum zurückversetzt, in dem die Eignungstests stattfinden, den Raum mit den vielen Spiegeln, den Raum, wo man Drähte an den Kopf kriegt. Ich bin überrascht, sie hier zu sehen.
    » Hallo.« Sie lächelt mich an. » Ich hätte nie gedacht, dass ich dich wiedersehen würde. Du heißt Beatrice, nicht wahr?«
    » Ich heiße Tris«, antworte ich. » Arbeitest du hier?«
    » Ja. Ich war nur für kurze Zeit weg, um die Tests zu überwachen. Meistens bin ich hier.« Nachdenklich legt sie den Finger ans Kinn. » Ich habe von dir gehört. Du warst die Erste, die gesprungen ist, stimmt’s?«
    » Ja, das war ich.«
    » Gut gemacht.«
    » Danke.« Mit den Fingern fahre ich die Umrisse des Vogels nach. » Hör zu«, presche ich vor. » Ich muss mit dir reden.« Verstohlen blicke ich zu Will und Christina. Ich kann jetzt nicht mit Tori hinter einer Ecke verschwinden, sie würden mir nur unliebsame Fragen stellen. » Über etwas ganz Bestimmtes. Aber nicht hier und jetzt.«
    » Ich weiß nicht, ob das klug ist«, antwortet sie leise. » Ich habe dir geholfen, so gut ich konnte. Jetzt musst du allein damit zurechtkommen.«
    Ihre Antwort enttäuscht mich. Tori könnte mir all meine

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