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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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Brustkorbs. Mein Herz schlägt so heftig, dass mir die Brust wehtut, und ich starre ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
    » Vergiss nie, hier die Spannung zu halten«, sagt er ruhig.
    Dann nimmt er seine Hand weg und geht weiter. Ich spüre den Druck seiner Hand noch, als er schon längst fort ist. Ich weiß selbst nicht, warum, aber ich muss erst innehalten und durchatmen, ehe ich weiterüben kann.
    Als Four uns zum Abendessen entlässt, versetzt mir Christina spielerisch einen Knuff.
    » Ein Wunder, dass er dich nicht in der Mitte entzweigebrochen hat«, sagt sie und zieht eine Grimasse. » Ehrlich gesagt jagt er mir Angst ein. Das liegt daran, dass er immer so leise spricht.«
    » Ja, er ist…« Über die Schulter schauend, blicke ich mich nach ihm um. Four ist ruhig und hat eine bemerkenswerte Selbstbeherrschung. Doch ich hatte keine Angst, dass er mir wehtun würde. » Ja, er ist zweifellos sehr einschüchternd«, sage ich schließlich.
    Als wir auf die Grube zugehen, dreht Al, der ein paar Schritte vor uns läuft, sich plötzlich um und verkündet: » Ich möchte ein Tattoo haben.«
    Will hinter uns fragt: » Und was willst du dir tätowieren lassen?«
    » Keine Ahnung.« Al lacht. » Ich möchte nur das Gefühl haben, dass ich meine alte Fraktion wirklich verlassen habe. Dass ich ihr nicht mehr nachweine.« Als wir ihm keine Antwort geben, fügt er hinzu: » Ich weiß, ihr habt mich gehört.«
    » Ja, du musst lernen, etwas leiser zu sein.« Christina versetzt ihm einen Knuff gegen seinen Arm. » Aber ich denke, du hast recht. Wir gehören halb zu den Ferox, halb nicht. Wenn wir ganz dazugehören wollen, dann sollten wir auch aussehen wie sie.« Sie blickt mich vielsagend an.
    » Nein«, lehne ich kategorisch ab. » Ich werde mir die Haare nicht kurz schneiden und ich werde sie mir auch nicht in irgendeiner merkwürdigen Farbe tönen. Geschweige denn Piercings mitten im Gesicht tragen.«
    » Wie wär’s mit dem Nabel?«, schlägt Christina vor.
    » Oder den Brustwarzen?«, fragt Will und schnaubt vor Lachen.
    Statt zu antworten, pariere ich ihre Sticheleien nur mit einem entnervten Seufzer.
    Da wir mit dem Training für heute fertig sind, können wir bis zum Schlafengehen tun, was wir wollen. Bei dieser Vorstellung wird mir ganz schwindelig– was aber auch daran liegen kann, dass ich so müde bin.
    In der Grube wimmelt es von Menschen. Christina schlägt vor, dass wir beide Will und Al vor dem Tattoo-Studio treffen, und zerrt mich zuerst dorthin, wo es Kleider gibt. Wir steigen so rasch den schmalen Pfad hinauf zu den höheren Etagen, dass die Steine unter unseren Füßen wegrollen.
    » Was stört dich an meinen Kleidern?«, frage ich Christina. » Ich trage doch gar nichts Graues mehr.«
    » Deine Sachen sind hässlich und viel zu groß.« Sie seufzt. » Ich will dir doch nur helfen. Wenn dir die Klamotten nicht gefallen, die ich für dich aussuche, dann musst du sie nicht wieder anziehen, das verspreche ich dir.«
    Zehn Minuten später stehe ich vor einem Spiegel und habe ein knielanges schwarzes Kleid an. Es ist nicht weit, aber auch nicht so eng wie das erste, das Christina für mich ausgesucht hat und bei dem ich mich geweigert habe, es überhaupt anzuziehen. Über meine nackten Arme zieht sich eine Gänsehaut. Christina nimmt mir das Haarband ab und ich schüttle meinen Zopf aus, bis das Haar locker über die Schultern fällt.
    Dann nimmt Christina einen schwarzen Stift.
    » Eyeliner«, sagt sie nur.
    » Du wirst es nicht schaffen, aus mir eine Schönheit zu machen, glaub mir.« Ich schließe die Augen und halte still. Mit der Spitze des Stifts zieht Christina meine Lider nach. Ich stelle mir vor, wie ich in diesem Aufzug vor meiner Familie stehe, und bei dem Gedanken verkrampft sich mein Magen.
    » Wer sagt etwas von schön? Ich bin eher für auffallend.«
    Ich öffne die Augen und zum ersten Mal betrachte ich völlig ungeniert mein Spiegelbild. Mein Herz klopft schneller, als würde ich gerade etwas Verbotenes tun. Es ist gar nicht leicht, die Denkgewohnheiten der Altruan abzulegen, die man mir über all die Jahre eingepflanzt hat. Es ist so, als wolle man aus einer aufwendigen Stickerei einen einzelnen Faden herausziehen. Aber ich werde mir neue Gewohnheiten, neue Gedanken, neue Gesetze zulegen. Ich werde ein anderer Mensch werden.
    Vorher waren meine Augen von einem matten Blau, das ins Graue spielte. Der Eyeliner macht daraus ein leuchtendes Blau. Und wenn meine Haare locker fallen, dann wirken

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