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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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und senkrechte Falten zwischen den Augenbrauen.
    » Ach ja?«, sage ich tonlos.
    » Ja«, sagt er. » Ich habe den Verdacht, du setzt dich gerade über sämtliche Naturgesetze hinweg.«
    Ich beiße die Zähne zusammen und konzentriere mich wieder aufs Ziel. Ich bin entschlossen, diesmal mit beiden Beinen stehen zu bleiben. Wenn ich schon die allererste Aufgabe nicht hinkriege, wie soll ich dann jemals die Initiation schaffen?
    Ich betätige erneut den Abzug, und diesmal bin ich auf den Rückstoß gefasst. Meine Hände werden zurückgeschleudert, aber meine Füße bleiben fest auf dem Boden. Am Rand der Zielscheibe ist ein Einschussloch. Ich schaue Will mit hochgezogenen Brauen an.
    » Na also, sag ich doch– die Statistik lügt nicht«, stellt er trocken fest und bringt mich gegen meinen Willen zum Lachen.
    Ich brauche fünf Anläufe, um endlich die Mitte der Zielscheibe zu treffen, aber dann durchströmt mich eine Welle von Energie. Ich bin hellwach, meine Augen sind weit offen, die Hände warm. Zufrieden lasse ich die Waffe sinken. Es gibt einem ein Gefühl der Macht, wenn man etwas beherrscht, womit man anderen schaden kann. Etwas beherrschen bedeutet Macht, so einfach ist das.
    Vielleicht gehöre ich doch hierher.
    In der Mittagspause tun mir vom Halten der Waffe die Arme weh und meine Finger sind krumm und steif. Auf dem Weg zum Speisesaal massiere ich sie. Christina lädt Al ein, sich zu uns zu setzen. Jedes Mal, wenn ich ihn anschaue, höre ich sein Schluchzen wieder, also versuche ich, ihn nicht anzuschauen.
    Ich stochere mit der Gabel in meinen Erbsen herum und meine Gedanken wandern zurück zu den Eignungstests. Als Tori mich warnte, wie gefährlich es sei, unbestimmt zu sein, hatte ich Angst, man könnte es mir am Gesicht ablesen, und ich dachte, jeder würde es sofort merken, wenn ich auch nur eine falsche Bewegung mache. Bisher hat sich das zum Glück nicht bewahrheitet, was nicht heißt, dass ich mich jetzt sicherer fühle. Was, wenn ich unachtsam werde und etwas passiert?
    » Komm schon. Erinnerst du dich tatsächlich nicht mehr an mich?«, fragt Christina Al, während sie sich ein Sandwich belegt. » Noch vor ein paar Tagen waren wir zusammen im selben Mathekurs. Und ich bin ja wirklich kein Mensch, den man überhören könnte.«
    » In Mathe habe ich meistens geschlafen«, sagt Al entschuldigend. » Das hatten wir immer in der ersten Stunde!«
    Was, wenn mir keine unmittelbare Gefahr droht, sondern erst in ein paar Jahren, wenn ich gar nicht mehr damit rechne?
    » Tris«, sagt Christina und schnippt vor meiner Nase mit den Fingern. » Hallo? Ist da jemand?«
    » Wie bitte? Was ist los?«
    » Ich hab dich gefragt, ob wir irgendwann mal im selben Kurs waren«, sagt sie. » Nimm’s mir nicht übel, aber ich würde mich wahrscheinlich nicht an dich erinnern. Für mich haben alle Altruan gleich ausgesehen. Das tun sie immer noch, aber inzwischen bist du ja keine mehr.«
    Ich starre sie wortlos an. Muss sie mich ausgerechnet jetzt daran erinnern?
    » Entschuldigung, war ich gerade unhöflich?«, fragt sie. » Ich bin gewohnt, alles freiheraus zu sagen, was mir durch den Sinn geht. Meine Mutter meint, Höflichkeit sei nichts anderes als nett verpackte Schwindelei.«
    » Genau das ist auch der Grund, warum unsere Fraktionen normalerweise nichts miteinander zu tun haben«, erwidere ich knapp. Die Candor und die Altruan hassen sich nicht, wie es die Ken und die Altruan tun, aber sie gehen sich aus dem Weg. Am größten ist die Kluft zwischen den Candor und den Amite. Letzteren gehen Frieden und Freundschaft über alles. Deshalb kehren sie auch alles unter den Tisch, um nur ja keine Missstimmung aufkommen zu lassen– so lautet zumindest der Vorwurf der Candor.
    » Darf ich mich zu euch setzen?«, fragt Will und tippt mit dem Finger auf die Tischplatte.
    » Wie, du willst nicht mit deinen Kumpels von den Ken rumhängen?«, fragt Christina.
    » Das sind nicht meine Kumpels«, antwortet Will und stellt seinen Teller ab. » Nur weil wir in derselben Fraktion waren, heißt das nicht, dass wir besonders gut miteinander auskommen. Außerdem sind Edward und Myra ein Pärchen und die brauchen mich nicht als Aufpasser.«
    Edward und Myra, die beiden anderen Ken, sitzen zwei Tische weiter. Sie hocken so dicht aufeinander, dass sie beim Essen mit den Ellbogen aneinanderstoßen. Myra hält inne und küsst Edward. Ich schaue ihnen dabei zu. Ich habe noch nicht sehr oft gesehen, wie zwei sich küssen.
    Edward dreht sich zu

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