Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
seinem Körper und er verdreht die Augen. Al lässt ihn los, woraufhin Will wie ein nasser Sack umfällt. Bei diesem Anblick läuft es mir eiskalt über den Rücken.
Al beugt sich erschrocken über Will und klopft ihm mit der Hand auf die Wange. Es wird ganz still im Raum, während wir darauf warten, ob Will reagiert. Einige Sekunden lang bleibt er reglos und mit seltsam verdrehtem Arm liegen. Dann blinzelt er, sichtlich benommen.
» Hebt ihn auf«, befiehlt Eric. Er beobachtet den am Boden Liegenden, wobei sein Blick so gierig ist wie der eines Hungrigen, der wochenlang keine richtige Mahlzeit mehr hatte. Sein Mund ist grausam verzogen.
Four dreht sich zur Tafel und macht einen Kreis um Als Namen. Er ist der Sieger.
» Die Nächsten sind… Molly und Christina!«, verkündet Eric. Al schultert Will und schleppt ihn fort.
Christina knackt mit den Fingerknöcheln. Ich würde ihr gern Glück wünschen, weiß jedoch nicht, was ich ihr wünschen soll. Christina ist nicht schwach, aber sie ist viel zierlicher als Molly. An der Tür übernimmt Four Will und bringt ihn hinaus. Al bleibt stehen und sieht den beiden nach.
Dass Four rausgegangen ist, beunruhigt mich. Uns mit Eric hier allein zu lassen, ist, als ob man einen Babysitter anheuert, der voller Vorfreude die Messer wetzt.
Christina streicht ihr Haar hinter die Ohren. Es ist kinnlang, schwarz und mit silbernen Clips zusammengehalten. Wieder knackt sie mit den Fingerknöcheln. Sie scheint nervös zu sein– kein Wunder, wer wäre das nicht, wenn er mit angesehen hätte, wie Will schlaff wie eine Puppe zu Boden ging?
Wenn jeder Kampf bei den Ferox damit endet, dass nur einer auf den Beinen bleibt, dann weiß ich nicht, wie es mir bei der Initiation ergehen wird. Werde ich wie Al dastehen, mich über einen Menschen beugen, wissend, dass ich es war, die ihn niedergeschlagen hat, oder werde ich wie Will als hilfloses Häufchen Elend enden? Und ist es selbstsüchtig von mir, wenn ich unbedingt siegen will, oder ist es tapfer? Ich wische meine schweißnassen Hände an der Hose ab.
Christina greift an, indem sie Molly in die Seite tritt– und mich aus meinen Grübeleien reißt. Molly schnappt nach Luft und fletscht die Zähne. Eine verklebte schwarze Haarlocke fällt ihr ins Gesicht, aber sie streicht sie nicht zurück.
Al stellt sich zu mir, doch ich bin viel zu sehr mit dem laufenden Kampf beschäftigt, um ihn anzuschauen, geschweige denn ihm zu seinem Sieg zu beglückwünschen. Ich bin allerdings nicht sicher, ob es das ist, was er von mir erwartet. Molly grinst, dann stürzt sie sich ohne jede Vorwarnung mit ausgestreckten Armen auf Christina und umklammert ihre Taille. Der Aufprall wirft Christina glatt um. Molly drückt sie mit ihrem Gewicht nach unten. Christina schlägt um sich, aber Molly ist schwer und lässt sich nicht abschütteln.
Sie schlägt zu, Christina weicht mit dem Kopf aus, aber dann schlägt Molly noch einmal und noch einmal, trifft Christinas Kinn, ihre Nase, den Mund. Ohne nachzudenken, packe ich Als Arm und drücke ihn ganz fest. Ich brauche einfach jemanden, an den ich mich klammern kann. Blut rinnt über Christinas Gesicht und tropft auf den Boden. Zum ersten Mal in meinem Leben bete ich darum, dass jemand ohnmächtig wird.
Aber Christina wird nicht ohnmächtig. Sie schreit, und dann gelingt es ihr, einen Arm freizukriegen. Sie schlägt Molly so heftig aufs Ohr, dass diese ihr Gleichgewicht verliert. Christina strampelt sich frei, sinkt auf die Knie und hält sich mit einer Hand das Gesicht. Das Blut schießt in einem dicken, dunklen Strom aus der Nase und in kürzester Zeit sind ihre Finger rot verschmiert. Schmerzgepeinigt schreit sie auf, als sie mühsam von Molly wegkriecht. Ihre Schultern beben, und ich weiß, sie schluchzt, aber in meinen Ohren pocht es so laut, dass ich es nicht höre.
Werde ohnmächtig, bitte.
Molly versetzt ihr einen Tritt in die Seite und Christina stürzt rücklings zu Boden. Al macht sich von meinem Griff los, aber nur, um mich an sich zu ziehen. Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuheulen. Am ersten Abend habe ich Al für seine Schwäche verachtet, aber offenbar bin ich noch nicht völlig abgehärtet; beim Anblick von Christina, die schmerzgepeinigt die Hand gegen die Rippen presst, möchte ich mich am liebsten zwischen sie und Molly werfen.
» Aufhören!«, keucht Christina, als Molly mit dem Fuß ausholt, um zuzutreten. Sie streckt bittend die Hand aus. » Halt! Ich…« Sie hustet. »
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