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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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Platz«, sage ich. » Sonst gedenke ich gar nichts zu tun.«
    Ich sehe, wie er im Dunkeln lächelt. » Schon gut. Ich komme mit.«
    Ich zögere einen Moment. Er sieht mich nicht an, wie Will, Christina und Al es manchmal tun– so mitleidig, als wäre ich zu jung und zu schwach, um überhaupt für irgendetwas gut zu sein. Aber wenn er darauf besteht mitzukommen, dann wahrscheinlich deshalb, weil er mir nicht recht traut.
    » Ich komme schon zurecht«, sage ich abwehrend.
    » Zweifellos«, erwidert er und aus seinen Worten höre ich weder Spott noch Ironie heraus. Aber ich weiß, dass sie da sind. Es kann gar nicht anders sein.
    Sprosse um Sprosse steige ich hinauf, und als ich ein Stück hochgeklettert bin, folgt er mir. Er bewegt sich schneller als ich, und bald greifen seine Finger nach der Sprosse, auf der ich eben noch stand.
    » Und jetzt verrate mir eines…«, sagt er leise, während wir weiterklettern. » Wofür, glaubst du, ist diese Übung gut? Dieses Spiel, meine ich, nicht die Kletterei.«
    Ich schaue nach unten auf das Steinpflaster. Es ist schon ziemlich weit weg, dabei habe ich gerade mal ein Drittel des Weges hinter mir. Über mir ist eine Plattform, direkt unterhalb der Radnabe. Genau dort will ich hin. Über den Rückweg mache ich mir lieber noch keine Gedanken. Der Wind, der unten sanft über meine Wangen strich, zerrt jetzt kräftig an mir. Je höher wir klettern, desto heftiger werden die Böen, darauf muss ich gefasst sein.
    » Damit wir strategisch denken lernen«, antworte ich. » Vielleicht auch damit wir lernen, im Team zu arbeiten.«
    » Im Team«, wiederholt er. Er stößt ein seltsames Lachen aus, es klingt fast so, als schnappe er ängstlich nach Luft.
    » Vielleicht auch nicht«, sage ich. » Teamwork scheint bei den Ferox nicht besonders hoch im Kurs zu stehen.«
    Der Wind bläst jetzt stärker. Ich drücke mich enger an die weiße Strebe, aber dadurch wird auch das Klettern schwieriger. Das Karussell sieht von hier oben winzig aus. Die Dachmarkise verstellt mir den Blick auf unsere Mannschaft, aber ich sehe immerhin, dass einige fehlen– vermutlich hat sich eine Suchmannschaft auf den Weg gemacht.
    » Das sollte es aber«, greift Four meinen Gedanken auf. » Früher wurde Teamgeist geschätzt.«
    Ich höre ihm nicht richtig zu, denn mir ist inzwischen schwindelig geworden. Meine Hände brennen, weil ich mich so krampfhaft an den Sprossen festhalte, und meine Beine zittern, keine Ahnung, weshalb. Es ist nicht die Höhe, ganz im Gegenteil. Sie erfüllt mich mit Kraft, jedes Organ, jede Ader, jeder Muskel in mir ist im Gleichgewicht.
    Dann wird mir klar, woran es liegt. Es liegt an ihm. Er gibt mir das Gefühl, dass ich gleich stürze. Oder mich auflöse. Oder in Flammen aufgehe.
    Als ich die nächste Sprosse ertasten will, greife ich fast daneben.
    » Noch eine Frage…«, sagt er keuchend. » Was hat strategisches Denken mit Mut zu tun… Na, was denkst du?«
    Die Frage erinnert mich daran, dass er mein Ausbilder ist und ich auf diesem Trip etwas lernen soll. Eine Wolke schiebt sich vor den Mond und die Lichtstrahlen malen ein Muster auf meine Hände.
    » Es bereitet darauf vor zu handeln«, sage ich schließlich. » Man lernt, strategisch zu denken, damit man strategisch handeln kann.« Ich höre, wie er hinter mir laut und schnell atmet. » Alles in Ordnung mit dir?«, frage ich.
    » Ja, aber was ist mit dir? Tickst du noch ganz richtig? So hoch oben…« Er schnappt nach Luft. » Hast du denn gar keine Angst, Tris?«
    Ich blicke über meine Schulter nach unten. Wenn ich jetzt falle, bin ich tot. Aber ich werde nicht fallen.
    Ein Windstoß erfasst mich von links und ich werde zur Seite gedrückt. Erschrocken umklammere ich die Sprossen und versuche, mein Gleichgewicht zu bewahren. Four hält sich mit seiner kalten Hand an meiner Hüfte fest, seine Finger berühren meine nackte Haut unter dem Saum des T-Shirts. Er drückt mich kurz und schiebt mich sachte nach links, damit ich wieder einen sicheren Stand habe.
    Jetzt bin ich diejenige, die keine Luft mehr bekommt. Ich starre auf meine Hände, mein Mund ist trocken. Ich spüre die Stelle noch, an der seine Hand war, seine langen, schlanken Finger.
    » Alles okay?«, fragt er leise.
    » Ja«, antworte ich gepresst.
    Ich klettere weiter bis zur Plattform. Den stumpfen Enden der Metallstäbe nach zu urteilen, war hier früher mal ein Geländer angebracht. Ich setze mich und rutsche bis an den Rand, sodass auch Four einen Platz zum Sitzen

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