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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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stoße ich einen Schrei aus und wische mir ein paar Tropfen Blut vom Ohr.

14 . Kapitel
    Morgen ist der Besuchstag. Für mich ist es wie der Tag des Jüngsten Gerichts. Was danach kommt, ist egal. Alles, was ich tue, ist auf diesen Tag hin ausgerichtet. Vielleicht sehe ich meine Eltern wieder. Vielleicht auch nicht. Was ist schlimmer? Ich weiß es nicht.
    Als ich morgens mein Hosenbein hochziehen will, bleibt es an meinem Oberschenkel hängen. Verblüfft betrachte ich mein Bein. Der Stoff spannt sich um eine Muskelwölbung. Ich lasse das Hosenbein fallen und musterte die Rückseite meines Oberschenkels. Auch hier wölbt sich ein Muskel vor.
    Ich stelle mich vor den Spiegel. An meinen Armen, Beinen und an meinem Bauch sehe ich Muskeln, die mir zuvor noch nicht aufgefallen sind. Ich kneife mich in die Seite, dort, wo bisher der letzte Rest Babyspeck etwaige künftige Rundungen ahnen ließ. Nichts.
    Die Initiation der Ferox hat meinem Körper alle Sanftheit geraubt. Soll ich mich darüber freuen oder nicht?
    Zumindest habe ich jetzt mehr Kraft als früher. Ich wickle mich wieder in mein Badetuch und verlasse die Mädchendusche. Hoffentlich ist niemand im Schlafraum, der mich in dem Handtuch sieht. Aber das Risiko muss ich eingehen, die Hose kann ich jedenfalls nicht mehr anziehen.
    Als ich die Tür zum Schlafsaal aufmache, rutscht mir das Herz in die Hose. Peter, Molly, Drew und ein paar andere stehen in der hinteren Ecke und lachen. Als ich eintrete, schauen sie auf und kichern los. Mollys prustendes Lachen übertönt alle anderen.
    Ich gehe zu meinem Bett und tue so, als wären sie Luft. Nervös krame ich in der Schublade unter meinem Bett nach dem Kleid, das Christina für mich ausgesucht hat. Mit einer Hand halte ich das Badetuch fest, mit der anderen das Kleid, während ich mich langsam wieder aufrichte.
    Direkt hinter mir steht Peter.
    Ich bin so erschrocken, dass ich unwillkürlich einen Satz rückwärts mache und mir dabei fast den Kopf an Christinas Koje anschlage. Ich will an Peter vorbeischlüpfen, aber er legt seine Hand auf den Rahmen von Christinas Bett und schneidet mir den Weg ab. Ich hätte wissen müssen, dass ich nicht so leicht davonkomme.
    » Mir ist gar nicht aufgefallen, wie spindeldürr du bist, Stiff.«
    » Verschwinde.« Meine Stimme ist erstaunlich ruhig.
    » Wir sind hier nicht in der Regierungszentrale, hier muss niemand den Befehlen einer Stiff folgen.« Seine Augen wandern über meinen Körper, nicht begierig, wie Männer sonst Frauen anschauen, sondern grausam, als entginge ihm nicht der kleinste Makel. Das Blut pocht in meinen Ohren, denn nun kommen auch die anderen näher. Sie versammeln sich wie ein Rudel hinter Peter.
    Oh nein, das geht nicht gut aus.
    Ich muss hier weg.
    Aus dem Augenwinkel sehe ich einen möglichen Fluchtweg. Wenn ich mich unter Peters Arm hindurchducke und zur Tür sprinte, könnte es klappen.
    » Schaut sie euch an.« Molly baut sich mit verschränkten Armen vor mir auf und grinst hämisch. » Sie ist noch ein Kind.«
    » Ach, ich weiß nicht«, sagt Drew. » Vielleicht versteckt sie ja etwas unter ihrem Tuch. Warum sehen wir nicht nach?«
    Jetzt oder nie. Ich ducke mich unter Peters Arm hindurch und renne zur Tür. Jemand zieht und zerrt an meinem Handtuch, es gibt einen Ruck– und dann hält Peter es triumphierend in der Hand. Das Tuch ist mir entglitten und ich spüre die kalte Luft auf meinem nackten Körper. Sie ist so eisig, dass mir die Nackenhaare zu Berge stehen.
    Lautes Gelächter verfolgt mich, als ich wie ein gehetztes Tier zur Tür hinauslaufe, das Kleid fest an mich gepresst. Ich renne den Gang entlang in die Dusche, lehne mich schwer atmend gegen die Tür und schließe die Augen.
    Es spielt keine Rolle. Es ist mir egal.
    Ich spüre ein Schluchzen in meiner Kehle aufsteigen; verzweifelt presse ich die Hand vor den Mund, um es zu unterdrücken. Mir ist egal, was sie gesehen haben. Ich schüttle den Kopf, so als könnte ich die Lüge mit dieser Bewegung wahr werden lassen.
    Mit zittrigen Händen ziehe ich mich an. Das Kleid ist schlicht und schwarz, es reicht mir bis an die Knie und hat einen V-Ausschnitt, der die Tattoos auf meinem Schlüsselbein frei lässt.
    Sobald ich mich angezogen habe, ist auch der Drang zu weinen verschwunden. In meinem Magen fühle ich etwas Brennendes, etwas Gewalttätiges. Ich will ihnen wehtun.
    Ich betrachte meine Augen im Spiegel. Ich will es, also werde ich es auch tun.
    In einem Kleid kann ich nicht kämpfen, daher

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