Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
Ich versuche zu schlucken, dann schaue ich nur noch auf Four. Er ist die menschgewordene Perfektion. Er wird mich nicht treffen. Es wird alles gut werden.
Ich hebe das Kinn. Ich werde nicht zucken. Wenn doch, dann liefere ich Eric nur den Beweis, dass es nicht so einfach ist, wie ich behauptet habe, dann zeige ich, dass ich ein Feigling bin.
» Wenn du zusammenzuckst«, sagt Four langsam und mit Nachdruck, » dann nimmt Al deinen Platz ein. Verstanden?«
Ich nicke.
Four hebt die Hand, macht eine schnelle Bewegung aus dem Gelenk heraus und schleudert das Messer. Ich sehe das Blitzen von Metall, dann höre ich einen dumpfen Einschlag. Das Messer steckt in der Zielscheibe, nur eine Handbreit von meiner Wange entfernt. Ich schließe die Augen. Gott sei Dank.
» Hast du etwa schon genug, Stiff?«, fragt Four.
Ich denke an Als weit aufgerissene Augen und an sein leises Schluchzen in der Nacht. Ich schüttle den Kopf. » Nein.«
» Dann mach die Augen auf.« Er tippt auf die Stelle zwischen seinen Augenbrauen.
Ich starre ihn wortlos an, die Hände fest an die Seite gedrückt, damit niemand sieht, wie sie zittern. Er nimmt ein Messer aus seiner linken Hand in die rechte, und ich konzentriere mich ganz auf seine Augen, als das zweite Messer die Zielscheibe über meinem Kopf trifft. Es ist sogar noch näher als das vorherige– ich spüre, wie es direkt über meinem Kopf vibriert.
» Komm schon, Stiff«, sagt Four. » Jemand anderes sollte sich vor die Zielscheibe stellen.«
Will er mich reizen, damit ich aufgebe? Will er, dass ich versage?
» Halt den Mund, Four!«
Ich halte den Atem an, während er das dritte Messer in der Hand wiegt. Seine Augen funkeln verräterisch, als er ausholt und wirft. Das Messer fliegt der Länge nach wirbelnd auf mich zu und ich werde ganz starr. Diesmal spüre ich einen stechenden Schmerz am Ohr. Blut tropft auf meine Haut. Ich berühre mein Ohr. Das Messer hat es gestreift.
Dem Blick nach zu urteilen, den Four mir zuwirft, hat er es mit voller Absicht getan.
» Ich würde gerne sehen, ob der Rest von euch genauso wagemutig ist wie sie«, sagt Eric aalglatt, » aber ich denke, es reicht für heute.«
Er drückt meine Schulter. Seine Finger sind trocken und kalt, und der Blick, den er mir zuwirft, ist herausfordernd, als wolle er das, was ich getan habe, für sich selbst in Anspruch nehmen. Ich erwidere Erics Lächeln nicht. Was ich getan habe, habe ich nicht seinetwegen getan.
» Ich sollte wohl besser ein Auge auf dich haben«, fügt er noch hinzu.
Die letzte Bemerkung macht mir Angst– eine Angst, die ich in meiner Brust, in meinem Kopf, in meinen Händen spüre. Ich komme mir vor, als wäre das Wort UNBESTIMMT auf meiner Stirn eingebrannt, als könnte er es lesen, wenn er mich nur lang genug anschaut. Aber er nimmt wortlos die Hand von meiner Schulter und geht weiter.
Zurück bleiben Four und ich. Ich warte, bis niemand mehr im Raum und die Tür geschlossen ist, ehe ich ihn eines Blickes würdige. Er kommt langsam auf mich zu.
» Ist dein…«, setzt er an.
» Das hast du absichtlich gemacht!«, schreie ich.
» Ja, das habe ich«, entgegnet er ruhig. » Und du solltest mir dankbar sein, dass ich dir geholfen habe.«
Ich beiße die Zähne aufeinander. » Dir dankbar sein? Du hast beinahe mein Ohr abgetrennt und mich auch noch verspottet. Wofür, bitte, sollte ich dir dankbar sein?«
» Ehrlich gesagt, ich bin es allmählich leid, darauf zu warten, dass du endlich begreifst!«
Er mustert mich, aber sein Blick ist nachdenklich. Seine Augen haben ein ganz besonderes Blau, es ist so dunkel, dass es beinahe schwarz wirkt, mit kleinen helleren Flecken fast schon im Augenwinkel seiner linken Iris.
» Was soll das heißen? Bis ich was begreife? Dass du Eric beweisen willst, wie taff du bist? Dass du genauso sadistisch bist wie er?«
» Ich bin nicht sadistisch.« Er hebt nicht einmal die Stimme. Ich wünschte mir, er würde schreien. Dann würde ich mich nicht so sehr vor ihm fürchten. Er beugt sich ganz nah an mein Gesicht, und ich fühle mich unwillkürlich daran erinnert, wie im Eignungstest die Reißzähne des Hundes nur einen Fingerbreit von mir entfernt waren. Leise sagt er: » Wenn ich dir wehtun wollte, meinst du nicht, dass ich es schon längst getan hätte?«
Er durchquert den Raum und schleudert ein Messer mit der Spitze so kräftig auf den Tisch, dass es mit dem Griff nach oben stecken bleibt.
» Ich…«, fange ich an, aber da ist er schon weg. Vor lauter Wut
Weitere Kostenlose Bücher