Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
geschickteste Lösung. Ich beobachte sie einige Sekunden lang. Sie hält ihre Hände zu hoch; sie schützt ihre Nase und ihre Wangen, aber ihr Magen und ihre Rippen sind ungeschützt. Molly und ich, wir haben dieselben Schwachstellen beim Kämpfen.
Wir sehen uns ganz kurz in die Augen.
Ich setze zu einem tiefen Haken an, unterhalb des Nabels. Mein Faustschlag presst alle Luft aus ihren Lungen, ich spüre den Hauch an meinen Ohren. Während sie noch nach Atem ringt, trete ich ihr seitlich die Beine weg und hole sie damit von den Füßen. Schwer wie ein Sack fällt sie zu Boden, dass sogar Staub auffliegt. Ich hole mit den Füßen aus und trete ihr, so fest ich kann, gegen die Rippen.
Meine Mutter und mein Vater würden es garantiert nicht gutheißen, dass ich auf jemanden eintrete, der schon am Boden liegt.
Aber das ist mir egal.
Sie rollt sich zusammen, um ihre Seite zu schützen, und ich trete wieder zu, diesmal treffe ich ihren Bauch. Sie ist noch ein Kind. Ich trete wieder zu, diesmal treffe ich ihr Gesicht. Blut spritzt aus der Nase und läuft über ihr Gesicht. Schaut sie euch an. Der nächste Tritt trifft sie an der Brust.
Ich hole wieder aus, aber Four packt mich am Arm und zieht mich weg, er ist so stark, dass ich mich nicht dagegen wehren kann. Ich atme durch zusammengebissene Zähne und starre auf Mollys blutverschmiertes Gesicht. Irgendwie ist es ein kräftiges, sattes, schönes Rot.
Sie stöhnt, es ist eher ein Gurgeln, und ich sehe, wie ihr das Blut über die Lippen läuft.
» Du hast gewonnen«, murmelt Four. » Hör auf.«
Ich wische mir den Schweiß von der Stirn. Er starrt mich an. Seine Augen sind weit aufgerissen, erschrocken.
» Ich finde, du solltest rausgehen«, sagt er. » Mach einen Spaziergang.«
» Mir geht’s gut«, sage ich. » Jetzt geht’s mir gut«, sage ich noch einmal, diesmal zu mir selbst.
Ich wünschte, ich könnte mich deswegen schlecht fühlen.
Aber ich kann es nicht.
15 . Kapitel
Besuchstag. Es ist mein erster Gedanke, als ich meine Augen aufschlage. Mein Herz hüpft vor Aufregung– und sinkt mir in die Kniekehlen, als ich Molly sehe, wie sie durch den Schlafsaal humpelt. Ihre Nase ist blutrot und mit Heftpflaster überklebt. Als sie weg ist, blicke ich mich nach Peter und Drew um. Keiner von ihnen ist im Schlafsaal, also ziehe ich mich schnell um. Solange sie nicht da sind, ist es mir inzwischen egal, wer mich in Unterwäsche sieht.
Auch die anderen ziehen sich schweigend an. Nicht einmal Christina lächelt. Uns allen ist klar, dass wir womöglich die Grube betreten, der Reihe nach jedes Gesicht mustern und kein einziges finden, das uns bekannt vorkommt.
Ich mache mein Bett und ziehe die Decke an den Enden straff, wie mein Vater es mir beigebracht hat. Als ich ein Haar von meiner Liege streife, kommt Eric herein.
» Alle mal herhören!«, beginnt er und streicht sich eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. » Ich möchte euch ein paar Ratschläge für den heutigen Tag mit auf den Weg geben. Falls aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen eure Eltern kommen, um euch zu besuchen, was ich bezweifle…«, er schaut einen nach dem anderen feixend an, » dann ist es das Beste, wenn ihr euch nicht zu anhänglich zeigt. So ist es einfacher für sie und einfacher für euch. Wir nehmen die Maxime Fraktion vor Blut sehr ernst. Wenn ihr zu viel Anhänglichkeit an den Tag legt, deutet das nur darauf hin, dass ihr mit eurer neuen Fraktion nicht voll und ganz zufrieden seid, was ziemlich schändlich wäre. Kapiert?«
Ich habe kapiert und die Drohung aus Erics schneidender Stimme herausgehört. Das Einzige, was er mit seiner Rede sagen wollte, war: Wir sind Ferox und haben uns entsprechend zu benehmen.
Als ich aus dem Schlafsaal gehe, hält er mich zurück.
» Womöglich habe ich dich unterschätzt, Stiff«, sagt er. » Du hast dich gut geschlagen gestern.«
Zum ersten Mal, seit ich Molly besiegt habe, krampft sich mein Magen vor Schuldgefühlen zusammen. Wenn Eric glaubt, ich hätte etwas gut gemacht, dann muss ich etwas falsch gemacht haben.
» Danke«, sage ich und gehe weiter.
Als sich meine Augen an das schummrige Licht im Gang gewöhnt haben, erblicke ich Christina und Will vor mir. Will lacht, wahrscheinlich hat Christina einen Spaß gemacht. Ich gebe mir keine Mühe, sie einzuholen. Aus irgendeinem Grund kommt es mir falsch vor, die beiden zu stören.
Nur von Al ist weit und breit nichts zu sehen. Er ist weder im Schlafsaal gewesen noch sonst wo.
Ich fahre
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