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Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung

Titel: Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Roth
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zur Seite streifen. Er klopft auf etwas, und ich drehe den Kopf, um zu sehen, was es ist. Four hält eine Spritze mit einer langen Injektionsnadel in der Hand, sein Daumen liegt auf dem Drücker. Die Flüssigkeit in der Spritze ist orange.
    » Eine Injektion?« Mein Mund wird trocken. Spritzen machen mir sonst nichts aus, aber diese Nadel ist riesig.
    » Wir führen hier eine ausgefeiltere Version der Simulation durch«, sagt er. » Ein anderes Serum und ohne dass du an Kabel oder Elektroden angeschlossen wirst.«
    » Und wie funktioniert das so ganz ohne Kabel?«
    » Ich bin sehr wohl angeschlossen. Auf diese Weise kann ich sehen, was vor sich geht«, sagt er. » Was dich betrifft: In dem Serum ist ein winziger Sender, der die Daten an den Computer weiterleitet.«
    Er dreht meinen Arm zur Seite und drückt die Nadelspitze in die zarte Haut seitlich am Hals. Ein brennender Schmerz lässt mich zusammenzucken und ich versuche, mich ganz auf seinen ruhigen Gesichtsausdruck zu konzentrieren.
    » Die Wirkung des Serums setzt in sechzig Sekunden ein. Diese Simulation ist anders als beim Eignungstest«, erklärt er. » Zusätzlich zu dem Sender, der in dem Serum enthalten ist, regt es die Amygdala an. Das ist der Teil des Gehirns, der unangenehme Gefühle wie zum Beispiel Angst verarbeitet und Halluzinationen hervorruft. Die elektrischen Ströme in deinem Gehirn werden auf den Computer übertragen, der deine Halluzinationen in ein bewegtes Bild verwandelt, das ich am Bildschirm sehen kann. Diese Aufzeichnung werde ich an unsere Ferox-Administratoren weiterleiten. Du verbleibst in dem Halluzinationszustand, bis du dich beruhigt hast– das heißt, bis deine Pulsfrequenz zurückgeht und du deine Atmung wieder kontrollieren kannst.«
    Ich will seinen Ausführungen folgen, aber meine Gedanken spielen verrückt. Ich spüre die unverwechselbaren Anzeichen von Angst: nasse Hände, rasender Puls, Druck auf der Brust, trockener Mund, Knoten im Hals, Atemnot. Er legt die Hände rechts und links an meinen Kopf und beugt sich über mich.
    » Sei tapfer, Tris«, flüstert er. » Das erste Mal ist immer am schwersten.«
    Seine Augen sind das Letzte, was ich sehe.
    Ich stehe in einem Feld, dürres Gras reicht mir bis zur Hüfte. Die Luft riecht nach Rauch und sticht mir in die Nase. Der Himmel über mir ist gelbgrün, es sieht eklig aus, und wenn ich hinschaue, wird mir ganz flau im Magen.
    Ich höre ein Rascheln. Es klingt, als blättere der Wind die Seiten eines Buches um, aber hier ist kein Wind. Abgesehen von dem Rascheln ist kein Laut zu hören. Die Luft steht, sie ist nicht warm und nicht kalt– eigentlich kommt sie mir gar nicht wie Luft vor, aber ich kann atmen.
    Ein Schatten huscht über mich hinweg und etwas setzt sich auf meine Schulter. Ich spüre das Gewicht und das Kitzeln von Federn. Ich schüttle die Arme, um es abzustreifen, ich schlage mit den Händen danach und fühle etwas Weiches, Zartes. Eine Feder. Ich blicke zur Seite. Ein schwarzer Vogel, so groß wie mein Unterarm. Er dreht den Kopf und starrt mich aus einem runden, glänzenden Auge an.
    Eine Krähe.
    Ich beiße die Zähne zusammen und schlage erneut mit einer Hand nach der Krähe. Sie vergräbt den Kopf in den Federn und bewegt sich nicht. Ich schreie, mehr aus Wut als aus Schmerz, und schlage mit beiden Händen auf die Krähe ein, aber sie rührt sich nicht von der Stelle und starrt mich aus einem Auge an. Ihre Federn glänzen in dem fahlen Licht. Donner grollt, und ich höre, wie der Regen auf den Boden prasselt, aber kein Tropfen geht auf mich nieder.
    Der Himmel verdunkelt sich, als schiebe sich eine Wolke vor die Sonne. Ich blicke nach oben. Eine Horde von Krähen kommt auf mich zu, eine Armee aus gespreizten Krallen und aufgerissenen Schnäbeln. Sie krächzen, die Luft ist erfüllt von ihrem Gekreische. Wie ein Geschwader stürzen sie auf mich herunter, Hunderte kugelrunde schwarze Augen blitzen.
    Ich will weglaufen, doch meine Füße sind wie angewurzelt und verweigern jede Bewegung, genau wie die Krähe auf meiner Schulter. Ich schreie, als die Vögel mich umflattern, als Federn um meine Ohren schlagen, Schnäbel nach meinen Schultern hacken, Krallen sich in meine Kleider bohren. Ich schreie, bis mir die Tränen in die Augen schießen. Ich schlage um mich, meine Hände klatschen hart gegen ihre Körper, aber es nützt nichts, es sind zu viele, und ich bin allein. Sie picken an meinen Fingern und stürzen sich immer wieder aufs Neue auf mich, Flügel

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