Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
hier vernichten, aber wenn du nicht als Leiche in der Schlucht enden willst, solltest du dir überlegen, wie du das bei den Simulationen verheimlichst. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest.«
Er geht in den Simulationsraum zurück und knallt die Tür hinter sich zu.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich habe die Simulation gesteuert, indem ich die Glasscheibe zerbrochen habe. Ich wusste ja nicht, dass das nur Unbestimmte können.
Wieso wusste er es?
Ich stoße mich von der Wand ab und gehe entschlossen den Gang entlang. Ich brauche Antworten, und ich weiß auch schon, wer sie mir geben kann.
Ich marschiere schnurstracks zum Tattoo-Studio, wo ich Tori zum letzten Mal gesehen habe.
Jetzt, mitten am Nachmittag, laufen hier nicht sehr viele Leute herum, die meisten arbeiten oder sind in der Schule. Im Tattoo-Studio sind drei Leute, der Tätowierer, der gerade einem Mann einen Löwen auf den Arm sticht, und Tori, die einen Stapel Papier auf der Theke durchblättert. Sie blickt auf, als ich hereinkomme.
» Hallo, Tris«, sagt sie mit einem raschen Seitenblick auf den Tätowierer, der jedoch viel zu sehr in seine Arbeit vertieft ist, um uns zu bemerken. » Lass uns nach hinten gehen.«
Ich folge ihr hinter den Vorhang, der den Raum zweiteilt. Im hinteren Teil stehen ein paar Stühle, ungebrauchte Tattoonadeln liegen herum, Tinte, Papierblöcke, gerahmte Bilder. Tori zieht den Vorhang zu und setzt sich auf einen Stuhl. Ich setze mich neben sie und tappe ungeduldig mit den Füßen.
» Was gibt’s?«, fragt sie. » Wie geht’s bei den Simulationen?«
» Gut.« Ich nicke mehrmals bekräftigend. » Ein bisschen zu gut, wie man mir sagt.«
» Ah.«
» Bitte hilf mir, es zu verstehen«, sage ich leise. » Was genau bedeutet es, wenn man…« Ich zögere. Ich sollte das Wort hier nicht aussprechen. » Was zum Teufel bin ich? Und was hat das mit den Simulationen zu tun?«
Toris Verhalten ändert sich schlagartig. Sie lehnt sich zurück und verschränkt die Arme. Ihr Blick ist wachsam.
» Zum einen bist du jemand … der sich selbst während der Simulation bewusst ist, dass das, was du da gerade erlebst, nicht die Wirklichkeit ist«, sagt sie gedämpft. » Jemand, der aus diesem Grund den Verlauf der Simulation beeinflussen oder sie ganz beenden kann.« Sie beugt sich zu mir. » Und weil du dich für die Ferox entschieden hast, bist du jemand, der mit dem, was er tut, sehr leicht sein eigenes Todesurteil unterschreibt.«
Mit jedem Satz, den sie spricht, nimmt der Druck auf meiner Brust zu. Meine innere Anspannung ist so groß, dass ich es nicht länger aushalte – ich muss weinen oder schreien oder …
Ich lache trocken, aber das Lachen erstirbt mir auf den Lippen. » Dann werde ich also sterben?«
» Nicht unbedingt«, sagt sie. » Die Anführer der Ferox wissen noch nichts von dir. Ich habe die Ergebnisse deines Eignungstests sofort aus dem System gelöscht und von Hand › Altruan ‹ eingegeben. Aber pass gut auf– wenn sie herausbekommen, was du wirklich bist, dann werden sie dich töten.«
Ich blicke sie forschend an. Sie wirkt kein bisschen verrückt. Sie spricht überzeugend, wenn auch etwas übereifrig, und bisher dachte ich auch nicht, dass sie jemand ist, der maßlos übertreibt, aber genau das tut sie. Solange ich lebe, hat es in unserer Stadt keinen Mord mehr gegeben. Selbst wenn Einzelne dazu fähig sein sollten, so gilt das nicht für die Anführer einer Fraktion.
» Du leidest unter Verfolgungswahn«, sage ich. » Die Anführer der Ferox würden mich nie töten. So etwas macht niemand. Nicht mehr. Genau aus diesem Grund wurden doch die verschiedenen Fraktionen gegründet.«
» Ach ja?« Sie legt die Hände auf die Knie und ihr Gesicht ist plötzlich grimmig. » Sie haben meinen Bruder geschnappt, weshalb nicht auch dich? Was ist so besonders an dir, dass dir nicht dasselbe passieren kann?«
» Deinen Bruder?«, frage ich verdattert.
» Ja. Meinen Bruder. Wir sind beide von den Ken hierhergewechselt. Bei ihm waren die Ergebnisse des Eignungstests allerdings nicht eindeutig. Am letzten Tag der Simulationen fand man seinen Leichnam in der Schlucht. Es hieß, er habe Selbstmord begangen. Die Sache hat nur einen Haken. Mein Bruder war bei der Initiation richtig gut, er war fest mit einer der Initiantinnen zusammen, die auch neu hier war, und er war glücklich.« Sie schüttelt den Kopf. » Du hast doch auch einen Bruder. Meinst du nicht, du wüsstest es, wenn er Selbstmordabsichten
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