Die Bestimmung - Roth, V: Bestimmung
nass. Ich bücke mich, um zu sehen, woher das Wasser kommt, aber es scheint von nirgendwoher zu kommen, es steigt einfach vom gläsernen Boden auf. Ich blicke Four an, doch er zuckt die Schultern und schlendert zu den anderen.
Das Wasser steigt schnell, es reicht mir schon bis zu den Knöcheln. Ich hämmere mit den Fäusten gegen das Glas.
» Hey!«, rufe ich. » Lasst mich hier raus!«
Das Wasser steigt an meinen nackten Waden hoch, kühl und weich. Ich klopfe energischer gegen die Scheibe.
» Holt mich hier raus!«
Ich schaue Christina an. Sie beugt sich zu Peter, der neben ihr steht, und flüstert ihm etwas ins Ohr. Beide lachen.
Das Wasser reicht mir nun schon bis zu den Oberschenkeln. Ich trommle mit beiden Fäusten gegen die Glasscheibe. Mittlerweile will ich die da draußen nicht mehr auf mich aufmerksam machen, ich will einfach nur hier raus, will ausbrechen, und zwar aus eigener Kraft. Verzweifelt schlage ich gegen das Glas. Ich trete einen Schritt zurück und werfe mich mit der Schulter gegen die Glaswand, einmal, zweimal, dreimal, viermal. Wieder und wieder werfe ich mich dagegen, meine Schulter tut schon weh. Ich schreie um Hilfe, denn das Wasser steigt mir bis zur Taille, zu den Rippen, bis zur Brust.
» Hilfe!«, schreie ich. » Bitte! Bitte helft mir!«
Ich trommle gegen das Glas. Ich werde in diesem Tank sterben. Mit zittrigen Händen fahre ich durchs Haar.
Draußen bei den anderen steht Will und bei seinem Anblick steigt etwas aus den Tiefen meines Gedächtnisses zutage. Etwas, was er zu mir gesagt hat. Los, denk nach. Ich gebe es auf, das Glas zerschmettern zu wollen. Es ist schwer weiterzuatmen, aber ich muss es versuchen. Ich muss mich mit so viel Luft vollpumpen, wie ich in diesen wenigen Sekunden noch bekommen kann.
Mein Körper steigt nach oben, er treibt im Wasser. Ich komme der Decke immer näher, und als das Wasser mein Kinn umspült, lege ich den Kopf in den Nacken. Keuchend drücke ich mein Gesicht an das Glas über mir und atme so viel Luft wie möglich ein. Dann bedeckt mich das Wasser ganz, ich bin eingeschlossen.
Jetzt bloß keine Panik. Aber es hilft alles nichts– mein Herz rast und meine Gedanken wirbeln durcheinander. Ich schlage im Wasser um mich, schlage gegen die Wände. Ich trete, so fest ich kann, gegen die Scheiben, aber das Wasser bremst mich. Noch einmal schreie ich und spüre, wie das Wasser in meinen Mund strömt.
Die Simulation spielt sich nur im Kopf ab. Wenn sie sich aber in meinem Kopf abspielt, dann kann ich sie auch kontrollieren. Das Wasser brennt in meinen Augen. Teilnahmslose Gesichter starren mich an. Denen da draußen ist alles egal.
Ich schreie wieder und schlage mit der Handfläche gegen die Wand. Plötzlich höre ich ein Knacken. Als ich meine Hand wegnehme, ist im Glas ein dünner Riss. Ich schlage mit der anderen Hand zu und in dem Glas bildet sich ein Sprung. Er breitet sich von meiner Hand fächerartig in langen, zackigen Linien aus. Meine Lungen brennen, als hätte ich Feuer geschluckt. Ich trete gegen die Wand. Mein Zeh tut höllisch weh und ich höre ein langes, tiefes Stöhnen.
Die Scheibe zersplittert und die Wucht des Wassers spült mich nach vorne. Ich bekomme wieder Luft.
Keuchend setze ich mich auf. Ich bin wieder auf dem Stuhl. Ich schlucke und schüttle die Hände aus. Rechts neben mir steht Four, aber statt mir aufzuhelfen, starrt er mich an.
» Was ist?«, frage ich.
» Wie hast du das gemacht?«
» Was gemacht?«
» Das Glas zerschmettert.«
» Ich weiß es nicht.«
Four reicht mir die Hand. Ich schwinge die Beine über die Stuhlkante, und als ich stehe, fühle ich mich sicher auf den Füßen. Sicher und ruhig.
Seufzend fasst er mich am Ellbogen. Halb führt, halb zieht er mich aus dem Raum. Wir gehen schnell, aber dann bleibe ich stehen und entziehe ihm meinen Arm. Schweigend blickt er mich an. Ungefragt wird er mir nichts sagen.
» Was ist?«, frage ich ihn.
» Du bist eine Unbestimmte.«
Die Angst strömt durch mich hindurch wie ein Stromschlag. Er weiß Bescheid. Die Frage ist nur, wieso. Ich muss mich verraten haben. Ich muss etwas Falsches gesagt haben.
Jetzt heißt es locker bleiben. Ich lehne mich mit der Schulter an die Wand und frage: » Eine Unbestimmte? Was ist das denn?«
» Stell dich nicht dumm«, sagt er unwirsch. » Ich habe es schon beim letzten Mal vermutet, aber diesmal gibt es keinen Zweifel. Du hast die Simulation gesteuert, also musst du eine Unbestimmte sein. Ich werde diese Aufzeichnungen
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