Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
den Überblick über die Gänge zu behalten, durch die wir kommen, aber nach einer Weile verschwimmt mir alles vor den Augen. Wir erreichen das Ende eines Korridors, wenden uns nach links, und plötzlich finde ich mich in einem abgedunkelten Raum wieder, der mich vage an ein Aquarium erinnert. Eine Wand besteht aus Spiegelglas; auf meiner Seite reflektiert die Scheibe alles, aber ich könnte wetten, dass man von der anderen Seite aus problemlos hindurchsehen kann.
Am anderen Ende des Raumes steht eine große Maschine, aus der eine Liege ragt, die gerade groß genug für einen einzelnen Menschen ist. Ich erkenne das Gerät wieder. In meinem Schulbuch über die Geschichte der Fraktionen gab es eine Abbildung davon im Kapitel › Ken und die Medizin‹. Es ist ein Kernspintomograph. Ein Gerät, das Bilder von meinem Gehirn aufnehmen wird.
Etwas regt sich in mir. Es ist so lange her, seit ich dieses Gefühl zum letzten Mal verspürt habe, dass ich es anfangs kaum wiedererkenne. Neugier.
Eine Stimme– Jeanines Stimme– dringt aus einem Lautsprecher.
» Leg dich hin, Beatrice.«
Ich blicke auf die Liege, die mich in die Maschine schieben wird.
» Nein.«
Jeanine seufzt. » Wenn du es nicht freiwillig tust, dann haben wir Mittel und Wege, dich zu zwingen.«
Peter steht direkt hinter mir. Sogar mit einem verletzten Arm war er viel stärker als ich. Nur beim Gedanken an ihn spüre ich schon, wie er Hand an mich legt, mich erst niederringt, dann auf die Liege drängt, mich grob gegen das Metall drückt und die Bänder, die jetzt noch am Rand herabbaumeln, viel zu fest zuzieht.
» Machen wir einen Deal«, sage ich. » Wenn ich bei der ganzen Sache mitspiele, dann darf ich die Aufnahmen sehen.«
» Du wirst mitspielen müssen, ob du willst oder nicht.«
Ich hebe einen Finger. » Das stimmt nicht ganz.«
Ich blicke in den Spiegel. Es ist gar nicht so schwierig, sich vorzustellen, wie ich mit Jeanine spreche, während ich mich mit meinem eigenen Spiegelbild unterhalte. Ich habe blonde Haare, genau wie sie, wir sind beide blass und haben die gleichen harten Gesichtszüge. Dieser verstörende Gedanke erwischt mich kalt, und für ein paar Sekunden vergesse ich völlig, was ich eigentlich sagen wollte. Ich stehe einfach schweigend und mit erhobenem Finger da.
Ich bin blass, hellhaarig und gefühlskalt. Ich bin neugierig auf die Bilder aus meinem Gehirn. Ich bin genau wie Jeanine. Und das kann ich jetzt entweder schrecklich finden, dagegen ankämpfen, verzweifelt versuchen, alle Ähnlichkeiten auszurotten… oder ich kann es mir zunutze machen.
» Das stimmt nicht ganz«, wiederhole ich. » Ihr könnt mich mit Gurten fesseln, so viel ihr wollt. Aber ihr werdet es nie fertigbringen, dass ich mich so still verhalte, so stocksteif daliege, dass die Aufnahmen scharf werden.« Ich räuspere mich. » Ich möchte die Aufnahmen sehen. Ihr werdet mich so oder so umbringen– spielt es da wirklich eine Rolle, ob ich davor noch etwas über mein eigenes Gehirn erfahre?«
Schweigen.
» Warum willst du die Bilder unbedingt sehen?«, fragt sie.
» Das müsstest du eigentlich am besten wissen. Ich bin schließlich nicht nur für die Ferox und die Altruan geeignet, sondern auch für die Ken.«
» Gut. Du kannst sie sehen. Leg dich hin.«
Ich gehe zu der Pritsche und lege mich darauf. Das Metall ist eiskalt. Die Schienen unter mir gleiten nach hinten und dann bin ich im Inneren der Maschine. Ich starre auf die weiße Fläche über mir. Als Kind habe ich mir so den Himmel vorgestellt. Gleißendes weißes Licht, sonst nichts. Jetzt weiß ich, dass das nicht stimmen kann, denn grelles weißes Licht ist bedrohlich.
Ich höre ein Klopfen und schließe die Augen, rufe mir eines der Hindernisse in meiner Angstlandschaft in Erinnerung. Ich höre, wie Fäuste an mein Fenster trommeln und Männer mit leeren Augenhöhlen mich entführen wollen.
Ich tue so, als wäre das Pochen nichts als Herzklopfen. Trommeln. Der Fluss, der im Hauptquartier der Ferox gegen die Felsen donnert. Füße, die nach der Initiationsfeier durch die Gänge trampeln. Schritte von Menschen, die nach der Zeremonie der Bestimmung die Treppen hinunterstürmen.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als das Klopfen plötzlich aufhört und die Liege wieder nach draußen gleitet. Ich setze mich auf und massiere mit den Fingerspitzen meinen Nacken.
Die Tür öffnet sich und Peter taucht auf. Er winkt mich zusich. » Komm. Du kannst dir die Aufnahmen jetzt
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