Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
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Ich schwinge meine Beine von der Liege und gehe zu ihm. Als wir im Gang sind, schüttelt er den Kopf.
» Was ist los?«
» Ich weiß nicht, wie du es immer schaffst, genau das zu bekommen, was du willst.«
» Ja, genau. Ich wollte ja auch unbedingt in eine Zelle im Hauptquartier der Ken gesperrt werden. Und ich kann es kaum erwarten, endlich exekutiert zu werden.«
Ich gebe meiner Stimme einen lässigen Klang, als wären Exekutionen für mich an der Tagesordnung. Aber in dem Moment, als meine Lippen das Wort aussprechen, überläuft es mich kalt. Ich tue so, als würde ich nur etwas frieren und presse die Arme dicht an meinen Körper.
» Wolltest du das nicht?«, fragt er. » Ich meine, du bist völlig freiwillig hier aufgetaucht, keiner hat dich gezwungen. Das ist nicht gerade das, was ich als gesunden Selbsterhaltungstrieb bezeichnen würde.«
Vor der nächsten Tür tippt er eine Zahlenfolge in eine Tastatur und sie öffnet sich. Ich betrete den Raum auf der anderen Seite des Spiegels. Hier sind überall Bildschirme und blitzende Lämpchen, die sich in den Brillengläsern der Ken widerspiegeln. Auf der anderen Seite des Zimmers fällt eine weitere Tür ins Schloss, und hinter einem der Bildschirme steht ein leerer Stuhl, der sich noch bewegt. Gerade hat jemand den Raum verlassen.
Dicht hinter mir steht Peter– bereit, mich festzuhalten, falls ich auf jemanden losgehe. Aber ich will niemanden angreifen. Wie weit würde ich auch kommen? Einen Gang weiter, oder zwei? Und dann wäre ich verloren. Ich käme hier nicht raus, auch wenn sie keine einzige Wache aufstellen würden, um meine Flucht zu verhindern.
» Die Bilder auf diesen Schirm«, sagt Jeanine und deutet auf einen großen Bildschirm an der linken Wand. Einer der Wissenschaftler tippt auf seinen Monitor und auf der linken Wand erscheint ein Bild. Eine Aufnahme meines Gehirns.
Eigentlich weiß ich nicht wirklich, was ich da gerade sehe. Ich weiß, wie ein Gehirn aussieht und ich habe eine ungefähre Vorstellung davon, welche Gehirnregion wofür verantwortlich ist. Aber ich habe keine Ahnung, wie sich mein Gehirn von anderen unterscheidet. Jeanine tippt mit den Fingern an ihr Kinn und starrt unverwandt auf den Bildschirm. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor.
» Könnte bitte jemand Miss Prior erklären, was es mit dem präfrontalen Cortex auf sich hat?«, sagt sie schließlich.
» Das ist die Gehirnregion, die sozusagen direkt hinter der Stirn liegt«, erläutert eine der Wissenschaftlerinnen. Sie sieht kaum älter aus als ich und trägt eine große, runde Brille, die ihre Augen riesig erscheinen lassen. » Er koordiniert Gedanken und Handlungen so, dass man erreicht, was man sich als Ziel in den Kopf gesetzt hat.«
» So ist es«, sagt Jeanine. » Und jetzt würde ich gerne wissen, was am präfrontalen Cortex von Miss Prior besonders auffällig ist.«
» Er ist ziemlich groß«, antwortet ein anderer Wissenschaftler– diesmal ein Mann mit schütteren Haaren.
» Das geht aber noch genauer«, sagt Jeanine tadelnd.
Mir wird klar, dass ich mitten in einer Unterrichtsstunde gelandet bin. Jeder Raum, in dem mehr als ein Ken sitzt, wird sofort zum Klassenzimmer. Und Jeanine ist die Lieblingslehrerin. Alle hängen an ihren Lippen, verfolgen sie mit großen Augen und vor Eifer aufgerissenem Mund, warten auf eine Gelegenheit, sie zu beeindrucken.
» Er ist viel größer als der Durchschnitt«, verbessert sich der Mann.
» Schon besser.« Jeanine legt den Kopf schief. » Das ist tatsächlich einer der größten seitlichen präfrontalen Cortexe, die ich je gesehen habe. Der orbitofrontale Cortex ist dagegen außergewöhnlich klein. Was schließen wir daraus?«
» Der orbitofrontale Cortex ist das Belohnungszentrum des Gehirns. Diejenigen Menschen, die ihr Verhalten auf Belohnung oder Gegenleistung ausrichten, besitzen einen großen orbifrontalen Cortex«, sagt jemand. » Das heißt, dass Miss Priors Verhalten kaum ehrgeizige oder eigennützige Merkmale aufweist.«
» Nicht nur das.« Der Hauch eines Lächelns huscht über Jeanines Gesicht. Das blaue Licht der Bildschirme lässt ihre Wangenknochen und ihre Stirn heller scheinen, wirft aber auch tiefe Schatten unter ihre Augen. » Das alles sagt nicht nur etwas über ihr Verhalten aus, sondern auch über ihre Motivation, ihre Wünsche. Sie hat es nicht auf Belohnung abgesehen. Aber sie kann ihre Gedanken und Handlungen ausgesprochen gut auf ihre eigenen Ziele ausrichten. Das erklärt sowohl
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