Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
Scheinwerfer. Aber ich höre keinen Laut mehr.
» Wo sind die anderen?«, flüstert Susan.
» Tot«, sage ich knapp.
Susan schluchzt auf. Tobias zieht mich unsanft zu sich und läuft wieder los. Mein Gesicht brennt von den leichten Schnitten, die ich mir im Maisfeld zugezogen habe, aber meine Augen bleiben trocken. Der Tod dieser Altruan legt sich als weiteres Gewicht auf mich, eine Last, die ich einfach nicht abwerfen kann und die mich fast erdrückt.
Wir halten uns von dem Feldweg fern, auf dem die Ken und die Ferox zum Quartier der Amite gekommen sind. Stattdessen folgen wir den Schienen in Richtung Stadt. Hier draußen kann man sich nirgends verstecken, kein Baum, kein Haus, das uns Deckung geben könnte. Aber das ist jetzt egal. Die Ken können ohnehin nicht mitten durch den Zaun fahren und bis zum Tor werden sie noch eine Weile brauchen.
» Ich kann… nicht mehr…«, höre ich Susans Stimme in der Dunkelheit irgendwo hinter mir.
Wir bleiben stehen. Susan bricht schluchzend zusammen und Caleb kniet sich neben sie. Tobias und ich blicken zur Stadt, sie ist immer noch beleuchtet, denn es ist noch nicht Mitternacht. Ich möchte irgendetwas fühlen. Angst, Wut oder Trauer. Aber in mir regt sich nichts. Mein Inneres sagt mir nur, dass wir weiterlaufen müssen.
Tobias dreht sich zu mir. » Was war das gerade eben, Tris?«
» Was?«, frage ich zurück, und ich schäme mich, wie dünn und schwach meine Stimme klingt. Ich weiß nicht, ob er von der Sache mit Peter spricht und von den Dingen, die kurz davor passiert sind, oder ob er etwas völlig anderes meint.
» Du bist plötzlich völlig erstarrt! Jemand hat mit der Pistole auf dich gezielt und du bist einfach sitzen geblieben!« Er schreit mich jetzt an. » Ich dachte, ich könnte mich wenigstens darauf verlassen, dass du auf dich selbst aufpassen kannst!«
» Hey!«, sagt Caleb. » Lass sie erst mal einen Moment verschnaufen, okay?«
» Nein«, sagt Tobias und blickt mich unverwandt an. » Sie muss nicht verschnaufen.« Seine Stimme wird sanfter. » Was ist passiert?«
Er glaubt immer noch, dass ich stark bin. So stark, dass ich kein Mitleid von ihm brauche. Früher dachte ich das auch, aber jetzt bin mir da nicht mehr sicher. Ich räuspere mich.
» Ich bin einfach in Panik geraten«, sage ich. » So etwas wird nicht wieder passieren.«
Er zieht eine Augenbraue hoch.
» Es wird nicht wieder passieren«, sage ich, diesmal mit fester Stimme.
» Okay.« Er wirkt nicht überzeugt. » Wir müssen irgendwohin, wo wir sicher sind. Sie werden sich wieder neu formieren und dann nach uns suchen.«
» Glaubst du, dass wir ihnen so wichtig sind?«, frage ich.
» Wir schon, ja«, antwortet er. » Vermutlich hatten sie es von vorneherein nur auf uns abgesehen. Und auf Marcus, doch der ist jetzt wahrscheinlich tot.«
Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Wie er diese Worte aussprechen würde– vielleicht mit Erleichterung in der Stimme, weil Marcus, sein Vater, der als drohender Schatten über seinem ganzen Leben schwebte, endlich tot ist. Oder voller Schmerz, ja sogar Trauer, weil er womöglich gerade seinen Vater verloren hat und Trauer manchmal nicht unbedingt logisch ist. Aber er sagt es ganz nüchtern, als ginge es um die Richtung, in die wir unterwegs sind, oder um die Uhrzeit.
» Tobias…«, setze ich an, aber dann merke ich, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll.
» Wir müssen weiter«, sagt Tobias mit einem Blick über die Schulter.
Caleb hilft Susan auf die Beine. Sie kann sich nur aufrecht halten, wenn er den Arm um sie legt, sie stützt und sie vor sich her schiebt.
Bis zu diesem Moment habe ich nicht gewusst, dass ich im Training der Ferox eine unschätzbare Lektion gelernt habe. Ich weiß jetzt, wie man immer weitermacht, egal, was kommt.
8. Kapitel
Wir beschließen, entlang der Eisenbahngleise in die Stadt zu laufen, denn keiner von uns hat eine gute Orientierung. Ich gehe von Schwelle zu Schwelle, Tobias balanciert auf den Gleisen, auch wenn er gelegentlich ausrutscht, und Caleb und Susan schlurfen hinter uns her. Bei jedem unbekannten Geräusch fahre ich erschrocken zusammen, bis ich merke, dass es nur der Wind oder das Knarzen von Tobias’ Schuhsohlen auf den Gleisen gewesen ist. Ich würde gerne rennen, aber es kommt mir schon wie eine Heldentat vor, überhaupt einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Dann höre ich ein dumpfes Geräusch, das von den Schienen aufsteigt.
Ich gehe in die Knie und drücke meine Handflächen an das
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