Die Bestimmung - Toedliche Wahrheit - Band 2
einer Altruan mit so kalten Augen begegnet.
» Hallo.« Sie geht um den Tisch herum und mustert Tobias. » Du siehst älter aus.«
» Tja. Die Spuren der Zeit gehen an niemandem vorbei.«
Er hat genau gewusst, dass sie noch lebt. Wann hat er es herausgefunden?
Sie lächelt. » Du bist endlich gekommen –«
» Nicht aus dem Grund, den du vermutest«, unterbricht er sie. » Wir waren auf der Flucht vor den Ken, und es war unser einziger Ausweg, deinen armselig bewaffneten Lakaien meinen Namen zu nennen.«
Sie hat ihn irgendwie zornig gemacht, aber ich kann nur daran denken: Wenn ich entdeckt hätte, dass meine Mutter noch lebt, obwohl ich sie so lange für tot gehalten habe, würde ich niemals in diesem Ton mit ihr sprechen, ganz egal, was sie getan hat.
Der Gedanke tut weh. Ich schiebe ihn von mir und konzentriere mich stattdessen auf das, was ich sehe. Auf dem Tisch hinter Evelyn liegt eine große Landkarte, auf der viele Markierungen angebracht sind. Allem Anschein nach eine Karte der Stadt, aber ich verstehe nicht, was die Markierungen bedeuten. An der Wand dahinter hängt eine Tafel mit einer Tabelle. Ich kann die Tabelle nicht entziffern, weil die Eintragungen in einer Kurzschrift geschrieben sind, die ich nicht kenne.
» Ich verstehe.« Evelyns Lächeln bleibt, aber der belustigte Zug ist daraus verschwunden. » Dann stell mir deine Mitflüchtlinge vor.«
Ihr Blick fällt auf unsere ineinander verschlungenen Hände. Tobias lässt mich sofort los und zeigt zuerst auf mich. » Das ist Tris Prior. Ihr Bruder Caleb. Ihre Freundin Susan Black.«
» Prior«, wiederholt sie. » Ich habe einige Priors gekannt, allerdinge keine Tris. Beatrice hingegen…«
Ich lasse sie nicht ausreden. » Ich kenne einige Eatons, die noch am Leben sind, allerdings keine Evelyn.«
» Ich bevorzuge Evelyn Johnson. Besonders wenn ich mich bei einer Bande von Altruan aufhalte.«
» Ich bevorzuge Tris«, erwidere ich. » Und wir sind keine Altruan. Jedenfalls nicht alle.«
Evelyn wirft Tobias einen Blick zu. » Du hast interessante Bekanntschaften geschlossen.«
» Sind das Bevölkerungszahlen?«, fragt Caleb hinter mir. Er tritt staunend nach vorne. » Und… was ist das? Zufluchtsorte für die Fraktionslosen?« Er zeigt auf die erste Tabellenzeile, in der steht 7 … GrnHs. » Diese Orte auf der Karte, das sind Zufluchtsorte wie hier, oder?«
» Viele Fragen auf einmal«, antwortet Evelyn und hebt eine Augenbraue. Das kommt mir bekannt vor. Den gleichen Gesichtsausdruck hat auch Tobias– und das gleiche Unbehagen, wenn jemand zu neugierig ist. » Aus Sicherheitsgründen werde ich keine deiner Fragen beantworten. Und es ist ohnehin Zeit zum Essen.«
Sie deutet auf die Tür. Susan und Caleb setzen sich in Bewegung und ich folge ihnen; Tobias und seine Mutter gehen als letzte. Wir bahnen uns den Weg zwischen den Maschinen hindurch.
» Ich bin nicht dumm«, sagt sie leise. » Mir ist klar, dass du nichts mit mir zu tun haben willst– obwohl ich immer noch nicht genau weiß, warum.«
Tobias schnaubt.
» Aber ich will meine Einladung noch einmal bekräftigen«, fährt Evelyn fort. » Wir könnten deine Hilfe hier gebrauchen, zumal du ganz ähnlich über das System der Fraktionen denkst wie wir.«
» Evelyn«, sagt Tobias, » ich bin zu den Ferox gegangen.«
» Man kann seine Wahl auch ändern.«
» Was lässt dich glauben, dass ich meine Zeit irgendwo in deiner Nähe verbringen will?«, fragt er scharf. Er bleibt stehen, und ich gehe ebenfalls langsamer, damit ich ihre Antwort hören kann.
» Weil ich deine Mutter bin«, sagt sie rau und ungewohnt verletzlich. » Weil du mein Sohn bist.«
» Du verstehst überhaupt nichts«, sagt er. » Du hast nicht die leiseste Ahnung, was du mir angetan hast.« Er klingt atemlos. » Ich will nichts mit deiner kleinen Bande zu tun haben. Ich möchte so schnell wie möglich von hier verschwinden.«
» Meine kleine Bande ist doppelt so groß wie die Fraktion der Ferox«, erwidert Evelyn. » Du tust gut daran, sie nicht zu unterschätzen. Ihr Handeln kann über die Zukunft der Stadt entscheiden.«
Damit lässt sie ihn stehen und marschiert an uns beiden vorbei. Mir gehen ihre Worte nicht aus dem Sinn. Doppelt so groß wie die Fraktion der Ferox. Seit wann sind es so viele?
Tobias blickt mich aus zusammengekniffenen Augen an.
» Wie lange weißt du es schon?«, frage ich ihn.
» Ungefähr seit einem Jahr.« Er lehnt sich gegen die Wand und schließt die Augen. » Sie hat mir eine
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