Die Besucher
Mechanisch schaltete er den Kolorisator ein, ließ die Farbe des Wagens verblassen und sich von zwei riesigen Fernlastern mit Anhängern überholen. An ihm vorbei flitzten Autos, die er zwar aus den Abbildungen historischer Studien kannte, aber jetzt waren sie wirklich da: Skoda, Fiat, Volvo, Tatra, Renault...
»Nun trödeln Sie wirklich herum, Karas«, murrte der Akademiker, indem er in seine Feuerwehruniform schlüpfte. Dabei stellte er verwundert fest, daß die blaue Motorhaube des Niva-Autos vor seinen Augen ihre Farbe zu verändern begann. »In zehn Minuten beginnt das Haus Adam Bernaus zu brennen, und Sie spielen mit der Kolorisierung. Ein hellblaues Auto, und jetzt sind wir plötzlich grasgrün!«
»Gefällt Ihnen das nicht? Bitte sehr. Wir können auch gelb werden...«
Die grüne Motorhaube wurde gelb.
»Oder weiß und blau...«
»Könnten Sie nicht langsamer fahren?« Katjas Aufmerksamkeit fesselten hölzerne Tierfiguren auf der Ladefläche eines Sattelschleppers, den sie eben überholten. Hölzerne Löwen, Elefanten, Pferde und Tiger, alle Tiere eines Karussells wackelten während der Fahrt mit den Köpfen. Mit der Brille auf der Nase neigte sich Katja aus dem Autofenster: »Offenbar ein Sammler von Tierplastiken. Seht doch! Sie haben sogar ihr Wohnhaus dabei!« Zuerst landete der blaue Elefant im Straßengraben. Dann rammte der strahlend gelbe Niva VI der Besucher fast den Wohnwagen des Karussellbesitzers und drängte den Sattelschlepper in den Graben ab. Niva VI wurde während der Fahrt wieder hellblau und wechselte noch dazu das Kennzeichen: Aus AL-26-33 wurde AB-33-22.
»Wären wir in Amerika, würde ich glauben, es sind Gangster!« flüsterte verwirrt Ede Nehasil, der Besitzer des Karussells und eines Twisters mit Fliegenden Untertassen. Dabei kletterte er aus dem Straßengraben, wo sein Sattelschlepper mit dem Anhänger gelandet war.
»Ein hellblauer Niva-Wagen, BA-33-22...Oder AB...? Ich könnte aber schwören, das Auto war vorher gelb...« Zitternd umarmte er seine Frau und seine drei Kinder, die schreckensbleich und verstört den Wohnwagen verließen. »Nicht heulen! Ich habe einfach einen Schock bekommen und ganz kurz das Steuer losgelassen. Was willst du der Polizei melden? Daß wir völlig grundlos Bruch gemacht haben, weil wir Gespenster gesehen haben? Die Kinder sind unversehrt, der Wohnwagen auch. Soll ich vielleicht zwei Tage lang Protokolle unterschreiben, weil der Rüssel meines blauen Elefanten abgebrochen ist?«
19. Die Nußtorten-Explosion
»Bis fünf Uhr, hast du doch gesagt...« Adam Bernau ließ nur zu gern die Geige sinken, der er eben herzzerreißende Töne entlockt hatte.
»Es ist aber erst in drei Minuten fünf. Spiel nur, damit der Papa hört, wie du dich bemühst«, sagte die Mama, die gerade die Geburtstagstorte mit Schlagsahne und Mandeln verzierte. Gerührt steckte sie schließlich elf Kerzen in den Tortenteig. Wie die Zeit vergeht, dachte sie dabei, bald wird er den Mädchen nachlaufen...
Hier irrte die Frau Mama, denn Adam dachte bereits seit mehr als einem Monat an das zarte Mädchen Ali mit dem schönen Haar. Er dachte aber auch an den Fußball, den er als Geburtstagsgeschenk erhoffte. Am allerwenigsten aber dachte er an die Etüden, die er auf der Geige spielen sollte. Wenn es kein Fußball wird, dann wenigstens Schwimmflossen und die dazu passende Taucherbrille.
Im Hause herrschte reges Leben. Aus dem Kinderzimmer ertönten die Mißklänge der Geige, begleitet von dem Geheul des Hundes Fido. Aus der Küche zog der Duft von Vanille und gerösteten Haselnüssen herüber. Aus dem Keller stiegen Duftwolken von Äpfeln, deren Dämpfe Papa Bernaus Destillationsgerät in Alkohol verwandelt hatte. Um zwei Minuten vor fünf zündete Mama Bernau endlich die elf Kerzen der Feiertagstorte an:
»Adam?«
»Ja, Mutti?«
»Bring dem Papa die Torte und sag ihm, es ist Nußtorte...Er Sollkosten...und nicht mehr böse sein...«
»Gut, Mutti...«
Die Kerzen flackerten. Ihr Licht erhellte die steile Kellertreppe. Adam konnte nicht widerstehen. Er mußte von der Torte wenigstens die Schlagsahne mit den Schokoladeflocken ablecken. Erst dann klopfte er behutsam an die schwere Eichentür, den Eingang zum Geheimlabor seines Vaters.
»Sei mir nicht mehr böse, Papa!«
»Ich bin dir ja nicht mehr böse«, versicherte ihm der Papa hinter der geschlossenen Tür und ließ eilig das beschlagnahmte Heft mit den aus Zeitschriften ausgeschnittenen Nackedeis in der
Weitere Kostenlose Bücher