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Die Besucher

Die Besucher

Titel: Die Besucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ota Hofman
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wurde unter der Herrschaft König Wenzels erstürmt und dem Erdboden gleichgemacht. Von den ursprünglichen Fundamenten blieb nur der Schutzwall erhalten«, las Katja mit Interesse, dann fragte sie: »Was ist das, ein Wall?«

    »Siehe Abbildung 373, aber die fehlt hier«, erklärte ihr der Doktor. »Ich habe hier nur die Abbildung 325: Gesamtansicht der Burg Krucenburg. Im Vordergrund der Wachttum, auch >Wetterfahne< genannt. Die Burg selbst wurde als Lehenssitz des Markgrafen Friedrich von der Krummen Hand erbaut. Während des Bauernaufstands niedergebrannt und neu erbaut. Später noch einmal durch Feuer vernichtet usw., von Kaspar von der Hasenburg bei einem Feldzug gegen...«

    Die vom Unglück verfolgte Burg erschien vor ihren Augen hinter einer scharfen Kurve, die der Niva VI auf zwei Rädern nahm. Sie stand dort oben auf einem schroffen, unzugänglichen Felsen. Es mußte ein prächtiger Anblick für die Belagerer gewesen sein, als sie in Flammen aufging.

    Der Wagen der Besucher verlangsamte seine Fahrt. Die silbernen Informationsfolien glitten lautlos zurück in das Gedächtnisarchiv an der rechten Autotür. Philipp schaltete die Automatik ab und steuerte den Wagen mühselig durch ein Labyrinth von Richtungsweisern, Fahrgeboten und Verboten zu einem bewachten Parkplatz. Er atmete erlöst auf, als er den Wagen endlich geparkt hatte. Unter den Kindern, die gerade aus einem Bus gestiegen waren, hatte er Adam entdeckt. Die Aktion schritt also plangemäß fort. »Unauffällig, Katja! Wir sind Ausflügler! Machen Sie alles genau wie die andern!« Das war aber nicht gerade leicht. Der Platz am Fuße der Burg glich eher einem Rummelplatz, als einer historischen Stätte. Aus den Lautsprechern dröhnte Musik, in der die verzweifelten Rufe der Lehrer und Lehrerinnen untergingen, die versuchten, ihre Schüler zu vergattern: »Drei A hierher! Fünf A, hierher!« Aber die Knaben hatten bereits die Erfrischungsstände gestürmt. Die Mädchen stürzten sich auf den Kiosk, wo es Ansichtskarten, Fähnchen und Abzeichen zu kaufen gab. »Ich will mal dieses Kalte in der Tüte kosten«, meinte Katja, der die Weisung, alles genau wie die anderen Ausflügler zu tun, gefallen hatte. Sie bahnte sich einen Weg durch die Menschenschlange am Eisstand, aber der Doktor hielt sie zurück: »Nichts essen! Nichts trinken! Sie wissen doch nicht, was das ist!«

    Obwohl die Besucher nicht wußten, was es war, war es offenbar recht lecker: Limonade, Eis und Gurken.

    In der glühenden Sonne fanden sich die einzelnen Schulklassen endlich und begaben sich, eine nach der andern, auf den Marsch über eine steile Felsentreppe zur Burg empor. Es war seltsam. Man hatte den Eindruck, daß sich die Burg mit jedem Schritt entfernte und daß die Zahl der Stufen wuchs.

    Nach einer Viertelstunde des Aufstiegs stöhnte Katja: »Eines verstehe ich nicht. Warum hat man diese Burgen nicht im Tal gebaut?«

    Zum Glück war das Burgtor bereits erreicht und in den steinernen Burgmauern herrschte eine angenehme Kühle. Bevor man den Waffensaal betrat, mußte man Leinenüberzüge über die Schuhe ziehen, um das Parkett zu schonen. Für die Kinder waren diese Dinger eine prächtige Quelle der Heiterkeit. Für den Akademiker, der sie immer verlor und wieder über die Schuhe ziehen mußte, eine Qual, denn er wollte doch Adam ständig auf den Fersen bleiben.

    »Jetzt kommt die Folterkammer«, erklärte der Fremdenführer in unheilverkündendem Ton. »Durch diese Öffnung in der Mitte pflegte man die Eingekerkerten in den Hungerturm zu werfen...«

    Eine schwere, schmiedeeiserne Pforte öffnete sich knarrend und gab den Blick in einen trostlos düsteren Raum frei. Katja lief es kalt über den Rücken.

    »Gut, daß wir bei unserem Zeit- und Raumsprung nicht hier gelandet sind! Wenn wir uns um ein paar Jahrhunderte verrechnet hätten...«

    Aber der Akademiker, der bereits zum achten Mal die ewig rutschenden Schoner wieder über die Schuhe gezogen hatte, wies Katja laut zurecht: »Wir sind nicht zum Vergnügen hier!«

    Diese Worte galten allerdings mehr dem Doktor, der längst wieder vergessen hatte, das Genie zu verfolgen. Er unterhielt sich lieber mit der rothaarigen Mathematiklehrerin. Die Burgbesichtiger betraten die Folterkammer. Der Fremdenführer drehte den Schlüssel im Schloß und zog ihn heraus.

    »Jetzt aufgepaßt, werte Besucher! Ich lösche jetzt das Licht, damit Sie sich kurz vorstellen können, welche Schrecken so einen armseligen Häftling des

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