Die Besucher
irgendwo hinter den Foltergeräten, muß es einen Schacht geben, durch den die Luft einströmt. Durch diesen Schacht könnten wir vielleicht rausklettern, sonst gibt’s Stunk! Das heißt, für mich. Sie sind ja erwachsen, aber wenn Sie unsere Klassenlehrerin hätten...«
Der Akademiker hielt im Raum Umschau. Die Flamme der an der Wand qualmenden Fackel bog sich in der Tat herab, als drückte sie ein Luftzug zu Boden. Das bedeutete nur eines: Diesen unsichtbaren Schacht, den Adam errechnet hatte, mußte es dort geben. Das war ebenso einfach wie genial. Mit neuer Hoffnung blickte Philipp zu Adam und dem Heft 2 empor. Jetzt genügte nur ganz wenig; ein paar Berechnungen und Formeln über die Verschiebung der Kontinente, und die Expedition konnte, sogar vielleicht noch heute, zurückkehren...
Alles, was der Akademiker nun brauchte, war Zeit. Er mußte so lange wie möglich mit Adam in der Folterkammer eingeschlossen bleiben.
37. Ein Zwiegespräch im Folterkeller
»Sie sind fort! Beide! Das Genie und der Akademiker!«
Katja war es endlich geglückt, sich durch die Menge der Kinder und Lehrerinnen zu Doktor Noll durchzudrängen. Sie zog ihn in eine stille Ecke der Burggalerie, aber der Arzt war seltsamerweise keineswegs beunruhigt.
»Nur keine Panik! Sie kennen doch Philipp. Vielleicht ist das Absicht.«
Aber Katja kannte Philipp besser.
»Die sind wohl eher irgendwo hineingefallen...«
»Selbst wenn das der Fall wäre, was wäre geschehen? Aus der Sicht der Weltgeschichte sind die beiden jetzt bereits unsterblich: Adam durch das, was er einmal entdecken wird, und Philipp durch das, was er über ihn geschrieben hat. Tch würde dies mit Goethes Treffen mit Eckermann vergleichen...«
Dieser Vergleich hinkte, denn die Flamme der Fackel beleuchtete in jenem Augenblick die Foltergeräte der Henkersstätte sowie den Akademiker, der die Streckleiter zu Adam emporkletterte.
»Halten Sie sich fest!« rief er verzweifelt, als das Seil der Winde plötzlich nachgab und die Streckleiter in Schwingungen geriet.
»Wer? Ich?« Adam stieg zwei Sprossen tiefer. Er hatte das Gefühl, ein unbekannter Dritter sei in der Folterkammer hinzugekommen. »Weil Sie plötzlich Sie zu mir sagen?«
»Weil...« Die historische Begegnung mit dem Genie, mit dem er alleingeblieben war, hatte den Historiker in Verlegenheit gebracht. »In einem alten Menschen muß man dessen Vergangenheit, in einem jungen dessen Zukunft ehren. Das habe ich mir ausgedacht. Dieser Gedanke ist in Ihnen verborgen. Sie haben nur vorläufig keinen Grund dafür, über das Alter zu grübeln. Eigentlich ist dies ein Zitat aus einem gewissen Erinnerungswerk...«
Irgendwo in der fernen, noch fünfhundert Jahre entfernten Zukunft, schillerte unter einer gläsernen Schutzglocke, im Schein der Reflektoren das Geburtshaus Adam Bernaus, das man pietätvoll in ein Museum verwandelt hatte. Am Eingang begrüßte die Besucher eine überlebensgroße Statue des Genies. Aber jetzt schrieb man das Jahr 1984, und an der Streckleiter des Hungerturms von Krucenburg hing ein kleiner, schmuddeliger Bub.
Der Kenner seines künftigen Werks, der ihn abwechselnd duzte und siezte, zog schamhaft ein Taschentuch heraus.
„Hier hast du dich...haben Sie sich...ein wenig schmutzig gemacht...« Adam war von der Sorgfalt des kahlköpfigen Geometers gerührt.
»Wollen Sie einen Apfel?«
Sie saßen nebeneinander auf den Leitersprossen und aßen Äpfel. Hoch über ihren Köpfen war der blaue Himmel durch die Öffnung des Lüftungsschachts zu sehen.
»Unser Fluchtweg ist eh im Eimer«, meinte Adam. »Nur wenn wir beide bis oben kämen und ich versuchte. Ihnen auf den Buckel zu steigen...weil nämlich...daß Sie mir auf den Buckel stiegen...«
»Versuchen können wir es...«
Der Akademiker begann zu Adam emporzuklettern. In ihm glühte ein Fünkchen Hoffnung, daß es ihm gelingen würde, das künftige Genie der Wende des 20. Jahrhunderts zu gewissen Überlegungen zu bewegen:
»...Ich, für meine Person, bin allerdings davon überzeugt, daß die Menschen sich später einmal leichter aus einem Raum in den anderen versetzen werden...Daß jemand eines Tages ein einfaches Prinzip entdecken wird, um ganze Kontinente, ja Welten zu verschieben.«
»Wie in diesem Buch >Die Narren von den Hepteriden<, nicht wahr?...Dort haben die so eine Formel entdeckt...«
»Kennst du sie noch?«
»Ich merk’ mir alles, was ich einmal gelesen hab’.« Oben auf der Leiter konzentrierte sich
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