Die Bettelprophetin
Arbeits- und Arresthäuser, die Armenspitäler und Zuchthäuser. Bis Markgröningen bin ichgekommen, ins Weiberarbeitshaus, und am Ende ins Zuchthaus von Gotteszell. Ein schöner Name, gell? Nur – ein Gott war da nicht mehr.»
Schwester Barbara hob warnend die Hand, und Maria Bronner duckte sich.
«Verzeihung, Verzeihung, ich wollt die Herrin der Schlüssel nicht ärgern.» Sie kicherte plötzlich. «Aber hier ist meine letzte Station. Von hier geh ich schnurstracks in den Himmel. Oder in die Hölle, gell, Irrenwärterin?»
Zu Theres’ Schrecken begann sie nun am ganzen Körper zu zucken. Schwester Barbara legte ihr den Arm um die Schultern.
«Lass gut sein, Bronnerin. Ich denke, der Besuch war jetzt lang genug.»
«Nein, weg – lass mich los, alte Hexe!» Maria Bronner schlug nach ihr. Dann wurde sie wieder ruhig.
«Sag, Theres – hast du nicht bald Geburtstag?»
«Nein, erst im Herbst.» Theres konnte kaum sprechen.
«Ganz gleich. Ich schenk dir was. Und dem Hannes auch.» Sie legte den Kopf schief wie ein kleines Kind, das bettelt. «Sperrst mir meine Truhe auf, Barbara?»
Die Krankenwärterin zog unter dem Bett einen flachen Kasten hervor und öffnete ihn mit einem ihrer Schlüssel.
«Schau, was ich hier Schönes hab.» Vorsichtig nahm Maria Bronner ein mehrfach gefaltetes Wolltuch heraus und legte es neben sich aufs Bett. «Zwei Erbstücke von meinem Vater. Und Erbstücke soll man weitergeben, wenn’s so weit ist.»
Sie faltete das Tuch auseinander. Zum Vorschein kamen ein kleines Kruzifix und ein hölzernes Bildnis der Mutter Maria, dessen Farbe verblasst war.
«Komm näher und sieh es dir an.» Sie streckte ihr das Kruzifix entgegen. «Die Leut sagen, mein Vater hätt es in Mergentheimgestohlen, aber das ist gelogen. Der liebe Gott selber hat es ihm geschenkt.»
Wieder wurde Theres von dieser lähmenden Angst gepackt. Als ihr Blick auf das Kruzifix fiel, stockte ihr der Atem: Dem Gekreuzigten fehlte ein kleines Stück am linken Fuß, es sah aus, als habe ihm jemand die Zehen abgehackt. Genau wie bei Hannes!
«Genau wie bei Hannes!», rief ihre Mutter mit schriller Stimme. «Deshalb ist das Kruzifix für ihn und die Heilige Maria für dich. Und das Stöckchen hier auch. Es ist gesalbt. Los, los», befahl sie streng. «Pack es in dein Bündel.»
Theres tat, wie ihr geheißen. Ihre Hände zitterten. Dabei hörte sie ihre Mutter laut schwadronieren: «
Schaff und bete jederzeit – so hilft dir Gott auch allezeit.
Bete zu ihm, zu unserem lieben Heiland, der für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist. Und geh nur fleißig in die Kirch, Theres, und horch den Pfaffen zu, dass du dein Seelenheil kriegst. Hast du verstanden, du böses Kind? Dass du nur ja nicht endest wie deine Mutter, die Wurzeln und Gras gefressen hat und das stinkende, verdorbene Fleisch vom Abdecker und ihre Schuh und Röck gestohlen und ihr Lebtag geflucht, betrogen und gehurt.» Das Gesicht der alten Frau war zur Fratze verzerrt. «Und jetzt geh, verschwind aus meinem Leben. Lass dich nie wieder blicken, hörst du? Nie wieder!»
Die letzten Worte brüllte sie heraus, während Theres die Tränen übers Gesicht liefen. Sie stand da, mitten in dieser elenden Zelle, mit ihrem Bündel in der Hand und starrte erschüttert die Frau an, die jetzt aufgesprungen war und sie bei den Schultern packte mit lautem Gekreisch. Theres versuchte sich loszumachen, kam aber kaum an gegen die erstaunliche Kraft, die in dem schmächtigen Körper steckte. Die Krankenwärterin eilte ihr zu Hilfe, zerrte und zog an ihrer Mutter, versuchte, sie aufsBett zu drücken, und rief: «Rasch, die Zwangsriemen her! Um ihre Füße!»
Aber Theres konnte nur hilflos zusehen, wie Schwester Barbara mit der Rasenden kämpfte und endlich die Oberhand gewann. Mit zwei, drei harten Schlägen warf sie Maria Bronner bäuchlings aufs Bett, umschlang deren Handgelenke mit den Riemen, tat dasselbe noch mit den Fußgelenken. Dann war es von jetzt auf nachher still im Raum. Der Körper ihrer Mutter zuckte noch, wie bei einem verendenden Tier, ihr Geschrei aber hatte aufgehört.
Theres erwachte aus ihrer Erstarrung. Mit einem Satz war sie bei der Tür, riss sie auf, hörte noch, wie ihre Mutter ihr nachkeifte: «Hätt ich dich bloß nie in die Welt gesetzt!» – dann war sie draußen.
Nur weg von hier, nur weg! Sie stolperte die Treppen hinunter, vorbei an glotzenden Irren, rannte den weiten Kiesweg zurück zum Pförtnerhaus, trommelte gegen das Tor, bis der alte Mann
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