Die Beute
unfreundlich gewesen wäre …«
»Hör auf, Corrine«, schnitt Hannah ihr das Wort ab. »Wir müssen überlegen, was wir jetzt tun.«
Jodie runzelte die Stirn und sah Hannah im grellen Licht an. Sie hatte den Schock überwunden, so viel war klar. Ihre Wangen hatten sogar ein wenig Farbe bekommen. Und sie klang wieder ganz wie die alte Hannah, die Jodie einen Zusammenbruch bescheinigt hatte. Die standhaft blieb, wenn es zu Auseinandersetzungen kam. Jodie war verärgert. Sie schob die Ärmel hoch und strich sich den Schweiß von der Oberlippe. Ihr Schienbein und ihre Hand schmerzten. Im Schrank war es stickig geworden, es roch nach Blut, Schweiß und Angst, bleiernes Schweigen lag in der Luft, unausgesprochene Worte. Sie sollten auf die beiden Schweine vor der Tür und nicht aufeinander wütend sein, dachte Jodie.
»Wo sind deine Autoschlüssel?«, fragte Matt.
Jodie schüttelte den Kopf und schob ihre Gedanken beiseite. »Die liegen irgendwo im Wohnzimmer auf dem Boden. Aber unter dem Fahrgestell über dem Vorderrad auf der Fahrerseite ist ein Ersatzschlüssel.« Matt zog die unverletzte Seite seines Mundes hoch. Er war beeindruckt, wie genau sie für den Notfall vorsorgte, dachte sie. Er hatte ja keine Ahnung. »Hast du einen Ersatzschlüssel?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin mit dem Auto meines Bruders da. Der steht die meiste Zeit über in der Garage. Ich glaube kaum, dass er im Auto einen Zweitschlüssel hat.«
»Wo steht der Wagen?«, fragte sie.
»Unten an der Straße. Wenn ich bis zu ihm komme, kann ich ihn kurzschließen. Wo steht ihr Auto?« Er hob den Kopf und deutete in Richtung Wohnzimmer. »Vor dem Haus habe ich nur deinen Wagen gesehen.«
Jodie runzelte die Stirn. »Ich habe auch keinen Wagen gesehen.« Sie sah Hannah und Corrine fragend an.
Corrine schüttelte den Kopf.
Hannah zuckte die Achseln. »Die sind nicht im Auto gekommen. Jedenfalls habe ich keines gehört.«
»Sie hatten gestern Abend auch kein Auto«, sagte Jodie.
Matt hob die Augenbrauen. »Sie waren vergangene Nacht hier?«
»Hannah und ich haben draußen mit ihnen geredet«, sagte Jodie. »Ich habe Kane nicht wiedererkannt. Es war zu dunkel, außerdem hat Travis die ganze Zeit geredet. Sie sagten, sie campten oben am Hügel. Ich vermute, dass sie außerdem heute Nachmittag in die Scheune eingebrochen sind.« Sie sah Hannah an, doch die wollte ihr nicht in die Augen sehen. Wie wäre es wohl gelaufen, wenn sie heute Nachmittag die Polizei gerufen hätten, anstatt sich anzuschreien? Hätte ein Polizist die Andersons abschrecken können? Jodie runzelte die Stirn und dachte an etwas, das Travis gesagt hatte, nämlich, dass er sie in den Ort hatte rauschen sehen. »Ich glaube, sie haben uns beobachtet.«
Matt sagte nichts, er kniff die Augen zusammen, eine Falte grub sich langsam zwischen seine Augenbrauen.
»Was ist?«, fragte sie.
Wieder wanderte sein Blick umher. »Nichts.«
Sie schloss ihre Finger fester um die Kleiderstange. »Du weißt doch irgendwas.«
Er sah sie an. Sein Blick wirkte fest entschlossen. »Nein, ich weiß nichts.«
Sie wurde wütend. »Lüg uns nicht an, Matt. Du weißt irgendwas und hast kein Recht, es uns vorzuenthalten.«
»Ich weiß gar nichts.«
»Dann sag uns, was du denkst. Egal, wer diese beiden verdammten Arschlöcher sind, sie werden uns nicht hier im Schrank sitzen lassen, bis uns die Putzfrau findet. Die kommen zurück. Wir müssen wissen, mit wem wir es zu tun haben.«
Er sah Corrine an. Jodie folgte seinem Blick. Sie kauerte mit angstverzerrtem, tränenverschmiertem Gesicht in einer Ecke.
»Hör zu, Corrine ist schon verrückt vor Angst, weil sie noch nie von einem sadistischen Arschloch begrapscht wurde. Lass ihr ein wenig Zeit. Du wirst dich noch wundern, wozu sie fähig ist.« Sie sah den Zweifel auf seinem Gesicht, packte seinen Arm und zog ihn zu sich, sodass er sie ansehen musste. »Stell keine Vermutungen darüber an, womit wir zurechtkommen können und womit nicht. Du hast keine Ahnung, was wir alles aushalten können. Du kennst uns doch gar nicht!« Sie sah, wie sein Blick auf ihren Bauch fiel. Die Narben wurden nun vom Pulli verdeckt, doch er hatte sie gesehen. Er hatte einen genauen Blick auf diese Narben werfen können, als er ihre Fesseln gelöst hatte. Da war er wohl zu dem Schluss gekommen, dass sie weitere Schreckenserlebnisse nicht verkraften konnte. Hatte er nicht begriffen, wie zäh sie war? Oder war er wie alle anderen? Würde auch er versuchen sie zu
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