Die Beute
»Sie untersuchen den Tod, nicht wahr?«
»Ja.«
Sie presste die Lippen zusammen, zog plötzlich die Schultern hoch und murmelte leise und ernst: »Es war Mord, nicht wahr?«
Er runzelte die Stirn und wusste nicht, wie er ihre Reaktion deuten sollte. Er hatte Entsetzen erwartet – eine Hand vor dem Mund, ein überraschtes Seufzen vielleicht – oder Ungläubigkeit, ja sogar Trauer. Aber nicht bitteres Verständnis. Doch aus Erfahrung wusste er, dass jeder anders auf einen Schock reagierte, und bei Jodie hätte er das ahnen müssen. Soweit er das beurteilen konnte, reagierte sie stets ungewöhnlich.
»Ja, es war Mord.« Er blieb stehen. »Was nehmen Sie? Cappuccino?« Er wies auf die Bäckerei.
Sie war ein paar Schritte hinter ihm und brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was er gesagt hatte. »Was? Oh, ja, Cappuccino. Ja. Danke.«
Er hielt ihr die Tür auf und warf einen prüfenden Blick auf ihren Hintern, als sie an ihm vorbeiging. Vergiss es. Ihre Stimmung war unberechenbar, und morgen fuhr sie wieder weg. Und du bist ein Wrack. Das kannst du dir im Moment nicht leisten. Sie stand vor dem Tresen, Hände in den Hosentaschen. Sie hatte wirklichen einen tollen Hintern.
Plötzlich drehte sie sich um. »Wie hätten Sie es gerne?«
Er lächelte. Darauf fiel ihm nichts ein.
Sie wedelte mit einer Zwanzigdollarnote. »Ich bin dran. Sie haben schon mehr als genug getan.«
»Er nimmt immer einen großen Becher zum Mitnehmen mit doppeltem Kaffee und Vollmilch«, antwortete Rhona auf der anderen Seite des Tresens. »Berechenbar wie immer, genau so mag ich ihn.« Sie lachte derb, und Matt grinste. Rhona war seit dreißig Jahren mit demselben Mann verheiratet und arbeitete noch länger in seiner Bäckerei. Matt erinnerte sich, dass er auf dem Heimweg schon Milchbrötchen bei ihr kaufte, als er noch in die Vorschule ging. Sie nahm Jodies Bestellung entgegen und hantierte mit den Hebeln der Kaffeemaschine wie ein Pilot beim Landeanflug. »Ich bin außer mir wegen John«, sagte sie über den Dampfstrahler hinweg. »Wie geht’s deinem Dad? Heute Morgen sah er nicht so gut aus. Ich wollte ja nichts sagen, hoffentlich hat das Rosinenbrötchen seinen Blutzucker nicht zu sehr durcheinandergebracht.«
Matt lächelte. Acht Wochen war er nun schon wieder zu Hause, und noch immer musste er sich daran gewöhnen, dass man in so einem kleinen Dorf kein Privatleben hatte. »Es geht ihm gut, danke, Rhona.«
»War die Polizei schon bei dir?«, fragte sie.
Jodie sah ihn an.
Hatte sie seine Unterhaltung mit Carraro mitbekommen? »Ja, wir haben uns unterhalten.«
»Die waren vor einer halben Stunde auch hier«, sagte Rhona. »Sie reden mit jedem Ladenbesitzer.«
»Ach?« Er konzentrierte sich auf ein Stück Vanilletorte in der Vitrine.
»Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich lieber mit dir unterhalten sollten, du bist doch Polizist und kanntest John.« Sie hielt einen Augenblick inne und sah ihn an. »Ich habe ihnen außerdem gesagt, dass sie dir keine Fragen stellen, sondern dich um Rat bitten sollen.«
Herrgott, dachte Matt. Seine Brust schnürte sich zusammen, er musste sich zwingen, ruhig zu atmen.
Rhona redete weiter, während sie Deckel auf die Becher steckte und Jodies Geld entgegennahm, doch er hörte gar nicht mehr hin. Und er wich Jodies Blick aus, die ihn mit großen, dunklen Augen anstarrte, während Rhona weiterplapperte. Er wünschte, sie wären in den Pub gegangen und hätten tatsächlich was Härteres getrunken.
Jodie beobachtete ihn, als sie das Geschäft verließen, und lief erst ein halbes Dutzend Schritte, bevor sie sich an ihn wandte. »Sie sind also Polizist?«
»Ich bin beurlaubt.« Er machte sich auf ein weiteres Verhör gefasst, doch sie fragte nicht weiter, sondern sah ihn nur an. Dafür war er ihr mehr als dankbar. An der Ecke blieb er stehen und zeigte über die Straße zu den Grünanlagen. Unter einem großen alten Baum stand ein Picknicktisch. Durch seine kahlen Äste fiel die Nachmittagssonne und warf Flecken auf den Tisch. »Wie wäre es hier?«
»Perfekt.«
Sie setzten sich auf die Bank einander gegenüber, nippten schweigend einen Augenblick an ihrem Kaffee und genossen die winterliche Sonne auf ihren Gesichtern. Matt sah einem Geländewagen nach, bis er abbog.
Jodie nahm ihre Sonnenbrille ab und legte sie auf den Tisch. »Wo ist das passiert?«
Die Sonne stand hinter ihr, er musste blinzeln, als er sie ansah. »Was?«
»Der Mord. Ist es in der Nähe unserer Scheune
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