Die Beute
deutlich ausgedrückt?«, dröhnte er.
Louises Stimme erklang. »Oh, das haben wir kapiert, Travis. Es war laut und deutlich zu hören. Wir sind voll im Bilde, du Arschloch.«
Jodie hielt den Atem an. Was machte sie denn da?
»Pssst«, zischte Hannah.
»Halt die Klappe«, flüsterte Corrine.
Er ging zu Louise. Ihr Kopf kippte nach hinten und stieß mit Jodies zusammen. Dann drückte sie sich gegen Jodie, wurde zurückgeschubst und schnappte hörbar nach Luft. Niemand sagte etwas. Niemand bewegte sich. Jodie konnte Travis nicht sehen, sie konnte sich nur vorstellen, dass er Louise seine Waffe ins Gesicht hielt, so wie er es bei ihr gemacht hatte.
Sie hoffte inständig, dass er weiter nichts tat.
Seine Stimme klang ruhig, fast gelassen. »Verstanden?«
Sag nichts, Lou. Halt deinen Mund.
Sekunden vergingen. Drei, vier, fünf. Lous Atem beruhigte sich wieder, der Druck an Jodies Rücken ließ nach. Kurz darauf donnerten Travis’ Schuhe über den Holzboden, er stürmte zur anderen Seite der Scheune.
Die Körper um sie entspannten sich ein wenig. Travis war in einem Schlafzimmer und warf Sachen herum. Jodie versuchte ihn zu hören und befürchtete, er könnte etwas finden, das ihn veranlassen würde zurückzukommen und sie zu töten.
»Jodie, alles in Ordnung?«, flüsterte Lou.
Sie sollte eigentlich Lou diese Frage stellen. Sie sollte etwas sagen. Aber sie konnte nicht. Ihre Lungen waren vom Schluchzen ausgepowert, ihr Gesicht schmerzte, ihre Hand schmerzte, ihre Schulter fühlte sich wie ein loses Etwas an, und sie hatte noch nie zuvor in ihrem Leben so viel Angst gehabt.
»Jodie? Jode, versuch tief ein- und auszuatmen«, sagte Lou.
Sie versuchte es. Es half ein wenig.
Lou flüsterte. »Bist du verletzt?«
Jodie fuhr sich mit der Zunge im Mund herum, bewegte ihre Beine. »Nur geprellt, glaube ich. Was ist mit dir?«
»Nur verängstigt«, sagte Lou.
»Ich auch«, sagte Hannah.
»Ich auch«, wiederholte Corrine.
Das war immer noch besser als tot. »Lou, gib ihm bitte keine frechen Antworten mehr, sonst tut er dir noch weh.«
»Ich kann nicht anders. Es sprudelt so aus mir heraus.«
Jodie musste an Louises Albtraum in Afghanistan denken und fragte sich, was für ein Inferno sie jetzt wohl gerade durchmachte. Sie fühlte sich schuldig. Lou hatte sich gegen Travis gewehrt, ihn angeschrien und versucht, Jodie zu beschützen – und sie hatte nichts weiter getan, als sich an die Wand zu kauern.
»Wie geht es deinem Kopf, Jodie?«, flüsterte Hannah. »Hast du das Bewusstsein verloren, als er dich geschlagen hat?«
Jodie dachte an das dumpfe, drehende Gefühl in ihrem Kopf, als sie auf dem Boden gelegen hatte. »Ich glaube nicht.«
»Was ist mit deinem Bein?«
Hannahs fürsorglicher Krankenschwesterton tat gut, auch wenn das Zittern in ihrer Stimme ihr Angst machte. Sie wünschte, Hannah könnte ihr jetzt die Massage verpassen, die sie am Abend zuvor abgelehnt hatte. Diesmal würde sie sich nicht zurückziehen, sie würde sie umarmen, sie festhalten. »Es tut weh, aber gebrochen ist es vermutlich nicht.«
»Und wie steht es mit deiner Hand?«
Jodie blickte herab. »Sie fängt wieder zu bluten an. Oh, tut mir leid, Corrine, da ist Blut auf deiner Hose.« Tränen kamen ihr in die Augen. Der Zustand von Corrines Hose war wohl ihr geringstes Problem, doch es vermittelte ihr irgendwie das Gefühl, ihre Freundin enttäuscht zu haben.
»Keine Sorge«, schniefte Corrine. »Ich werde die Kerle verklagen.«
Ihre Worte trafen Jodie wie einen Schlag in die Magengrube, gaben ihre neue Kraft. Corrine war überzeugt, sie würden entkommen und nach Hause zu ihren Kindern fahren!
20
Jodie fühlte sich gedemütigt.
Achtzehn Jahre Training, um fit und stark zu bleiben und dafür zu sorgen, dass niemand jemals wieder zu Schaden kam, und schon beim ersten Übergriffsversuch hatte sie versagt. Travis hatte sie geschlagen, und ihr ganzes Gerüst war in sich zusammengefallen. Sie hatte nichts unternommen. Sie hatte sich nicht gewehrt, hatte nicht überlegt, ja noch nicht einmal die Augen offen gehalten. Sie hatte lediglich Angst bekommen und darauf reagiert. Sich an die Wand gedrückt und wie ein Kind geweint.
Stell dich der Wahrheit, Jodie. Sie hatte sich achtzehn Jahre lang etwas vorgemacht. Sie kniff die Augen zusammen und schämte sich.
Die Wahrheit ist, Jodie, dass dein wahres Selbst, dein Innerstes – das in jener schrecklichen Nacht zerfiel und zerstört wurde – nur aus Angst besteht. Harte, kalte,
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