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Die Beute

Die Beute

Titel: Die Beute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaye Ford
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einsame Angst.
    Ein Schrei entfuhr ihr.
    »Jodie? Was ist los?«, fragte Louise.
    Jodie konnte es ihr nicht sagen. Denn der Gedanke, der ihr durch den Kopf ging, war so entsetzlich, dass sie ihn niemals hätte laut aussprechen können.
    Dass sie vielleicht immer nur aus Angst bestanden hatte.
    Dass sie vor achtzehn Jahren keine Hilfe geholt hatte.
    Dass sie vor achtzehn Jahren einfach weggerannt war.
    Und ihre beste Freundin hatte sterben lassen.
    Travis knallte hinten im Gang eine Tür zu. Jodie zuckte zusammen. Am liebsten wäre sie wieder losgerannt. Sie hätte am liebsten die anderen auf die Füße gezogen und sie von hier weggebracht. Doch das würde nicht passieren. Keine von ihnen konnte an die Fesseln kommen, geschweige denn einen Knoten lösen. Um irgendwo hinzukommen, mussten sie sich in der Gruppe bewegen. Das war schlimmer als ein Dreierhosenlauf, selbst wenn Corrine sich den Knöchel nicht verstaucht hätte. Sie würden keine zwei Meter kommen, dann hätten Travis und Kane sie eingeholt. Und wenn Jodie auf wundersame Weise freikäme …
    Sie blickte auf. Travis war wieder im Flur und stampfte den Gang entlang.
    »Halt dein verdammtes Maul«, brüllte er.
    Er fuchtelte mit der Waffe vor ihrem Gesicht herum. Er meinte sie damit. Sie weinte. Sie hatte Schluckauf, schluchzte und hatte es noch nicht einmal bemerkt. Er trat sie erneut – gegen dasselbe Bein, ein überwältigender Schmerz –, dann lachte er und drehte sich zur Küche. Furcht pulsierte wie eine große offene Wunde in ihr, doch sie zwang sich, sich zu erinnern.
    Vor achtzehn Jahren hatte sie an Angelas frischem Grab gestanden, sich die Hand aufs Herz gelegt und geschworen, nie wieder einen Freund im Stich zu lassen.
    »Jodie«, flüsterte Louise. »Alles in Ordnung?«
    Nein. »Ja.«
    »Was macht er?«
    Jodie konnte ihn nicht sehen, hörte aber, wie er in der Küche Schränke auf- und zumachte. Sie konnte seitlich die Kochinsel einsehen, die vielleicht zwei Meter von ihr entfernt war. Wenn sie sich ein wenig nach rechts beugte, konnte sie in die Mauernische sehen. Doch das wollte sie nicht. Wenn sie Travis nicht sehen konnte, sah er sie vielleicht auch nicht und würde ihr nicht das Hirn aus dem Kopf blasen.
    »Jodie? Kannst du was sehen?«, fragte Louise.
    Jodie atmete tief ein und beugte sich ein wenig nach rechts. Sie konnte an der Kochinsel vorbei zu den großen Fenstern im hinteren Teil der Scheune sehen. Plötzlich zuckte sie zurück, als sie sah, wie er zum Kühlschrank ging. Dann hörte sie das Klirren einer Flasche in der Kühlschranktür, Geschirrgeklapper und das Rascheln von Plastikverpackung.
    Was machte er da? Sie beugte sich vor und sah seinen Umriss im Licht des Kühlschranks. Die Waffe hatte er hinten in seine Jeans gesteckt und die Flasche Bourbon auf die Kochinsel gestellt. Er knabberte Chips aus einer Tüte und hatte den Apfelkuchen herausgeholt, den Jodie als Nachspeise besorgt hatte.
    »Er isst«, flüsterte sie.
    Mit einer Hand hob er den Kuchen an und biss herzhaft hinein. Ein Brennen setzte in ihrer Magengrube ein. Er aß ihre Sachen. Die Leckereien, die sie für sich geplant, eingekauft und gebacken hatten.
    Sie beobachtete, wie er eine abgedeckte Schüssel herausnahm, dann ein Schälchen Soße, eine Packung Sahne. Mit dem Fuß stieß er die Kühlschranktür zu, pfefferte das Essen auf die Kochinsel und biss wieder herzhaft von ihrem Apfelkuchen ab. Der Zorn in ihr wuchs, verscheuchte die Angst, drang in ihr Bewusstsein. Es fühlte sich gut an.
    Erstick dran, du Arschloch, dachte sie.
    Der Kerl hatte sie ins Gesicht geschlagen und ihr eine Waffe an den Kopf gehalten, doch was sie wirklich zornig machte, war, dass er sich an ihrem Kühlschrank bediente. Das ergab zwar keinen Sinn, doch das war ihr egal. Es tat gut, mal etwas anderes als nur Angst zu verspüren. Und Wut war noch immer besser als Angst. Auch wenn es nur ein Funke war. Im Geiste schloss sie die Hand darum, spürte die Hitze, das Gewicht, die Beschaffenheit. Sie atmete tief durch. Dann noch einmal. Die Angst war immer noch da und immer noch stark, sie pulsierte in ihrem Hinterkopf, doch die Wut hatte ihr einen neuen Blick verliehen.
    Sie wischte sich mit dem Arm die Tränen aus dem Gesicht und sah sich um. Sie saßen zwischen Haustür und Marmortresen. Rechts war die Tür zum Flur, links die Rückenlehne des Sofas. Vor sich sah sie die Küche, die Kochinsel, den Esstisch und fast alle Fenster.
    Die Vorhänge waren jetzt zu, aber sie wusste, dass es

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