Die Beute - 2
Als er sich zum Gehen anschickte, lief sie ihm nach, schloß ihn schluchzend in die Arme, flüsterte zärtliche Worte, bat ihn um Verzeihung, schwor ihm, daß sie ihn immer noch leidenschaftlich liebe und daß sie ihm am kommenden Tag alles erklären werde. Doch er machte sich los, erwiderte: »O nein, jetzt ist Schluß. Ich hab’s satt«, und schlug heftig die Tür des Gewächshauses zu.
Niedergeschmettert blieb sie zurück. Sie sah, wie er durch den Garten ging. Es war ihr, als drehten sich die Bäume des Treibhauses um sie her. Dann schleppte sie sich langsam auf ihren nackten Füßen über den Sand der Wege und stieg die Stufen der Treppe empor, die Haut von der Kälte gefleckt, noch jammervoller anzusehen in ihren zerdrückten Spitzen. Oben erwiderte sie ihrem wartenden Gatten auf seine Fragen, sie habe geglaubt, sich an den Ort zu erinnern, wo sie ein kleines Notizbuch verloren haben könnte, das sie seit dem Morgen vermisse. Und als sie im Bett lag, überkam sie plötzlich eine grenzenlose Verzweiflung bei der Überlegung, sie hätte Maxime sagen sollen, daß sein Vater gleichzeitig mit ihr nach Hause gekommen sei und sie in ihr Zimmer begleitet habe, um sich mit ihr über irgendeine Geldangelegenheit zu unterhalten.
Am nächsten Morgen entschloß sich Saccard, die Charonner Sache beschleunigt zum Abschluß zu bringen. Seine Frau gehörte ihm; soeben noch hatte er sie sanft und willenlos in seinen Armen gefühlt, wie ein Ding, das alles mit sich geschehen läßt. Andrerseits sollte der Verlauf des Boulevard du PrinceEugène endgültig festgelegt werden, Renée mußte um ihren Besitz gebracht werden, ehe die bevorstehende Enteignung ruchbar wurde. Saccard bewies in dieser ganzen Angelegenheit die Liebe eines Künstlers zu seinem Werk; andächtig sah er seinen Plan reifen, legte seine Fallen mit der Spitzfindigkeit eines Jägers, der seine Ehre darein setzt, das Wild mit Eleganz zu fangen. Bei ihm handelte es sich einfach um die Befriedigung eines geschickten Spielers, eines Menschen, dem gerauhtes Gut einen besonderen Genuß bereitet; er wollte die Grundstücke für ein Butterbrot erwerben und dann in der Freude des Triumphs seiner Frau vielleicht für hunderttausend Francs Schmuck kaufen. Unter seinen Händen wurden die einfachsten Geschäfte kompliziert, verwandelten sich in düstere Dramen; er geriet in Feuer, hätte seinen eigenen Vater wegen eines Hundertsousstücks geschlagen. Und gleich darauf streute er das Gold mit königlicher Freigebigkeit aus.
Doch er war vorsichtig genug, ehe er bei Renée die Abtretung ihres Besitzanteils durchsetzte, zu Larsonneau zu gehen und ihm wegen der Erpressungsabsichten, die er bei ihm witterte, auf den Zahn zu fühlen. Diesmal sollte ihn sein Instinkt retten. Auch der Enteignungsagent hatte die Frucht für reif erachtet und sie zu pflücken gedacht. Als Saccard in das Büro in der Rue de Rivoli trat, fand er seinen Helfershelfer fassungslos, offenbar im Zustand hellster Verzweiflung.
»Ach, mein Freund«, jammerte er und ergriff Saccards Hände, »wir sind verloren. Soeben wollte ich zu Ihnen eilen, um mit Ihnen zu beraten, wie wir uns aus dieser schauderhaften Geschichte retten könnten.«
Während er die Hände rang und zu schluchzen versuchte, stellte Saccard fest, daß Larsonneau bei seinem Kommen gerade damit beschäftigt gewesen war, Briefe zu unterzeichnen, und daß die Schriftzüge von wunderbarer Klarheit waren. Er sah ihn also ruhig an und sagte: »Na nu? Was ist denn passiert?«
Der andere antwortete indes nicht sogleich; er hatte sich in seinen Schreibtischsessel geworfen und schüttelte, die Ellenbogen auf die Schreibunterlagen gestützt, beide Hände an die Stirn gepreßt, heftig den Kopf. Endlich brachte er mit erstickter Stimme heraus: »Man hat mir das Register gestohlen, Sie wissen ja …«
Und nun erzählte er, einer seiner Angestellten, ein Lump, reif für das Zuchthaus, habe ihm eine große Anzahl Akten entwendet, darunter auch das berüchtigte Register. Das schlimmste dabei sei, daß der Dieb wisse, welche Vorteile sich aus dem Schriftstück ziehen ließen, und daß er es nur gegen hunderttausend Francs wieder herausgeben wolle.
Saccard überlegte. Die Geschichte kam ihm zu plump vor. Augenscheinlich lag Larsonneau im Grunde wenig daran, glaubwürdig zu scheinen. Er suchte nur einen Vorwand, um Saccard zu verstehen zu geben, daß er aus dem Charonner Unternehmen hunderttausend Francs beanspruche und daß er unter dieser Bedingung sogar die
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