Die Beute
ihr seid alle frei. Wenn nicht« – er lächelte –, »behalte ich sie alle.«
Jenny verstand nicht. Panik tobte in ihr. Sie war nicht bereit – sie kannte die Regeln nicht. Sie wusste nicht einmal, welches Spiel sie spielten.
»Julian …«
Schnell wie ein Kater oder wie eine angreifende Schlange küsste er sie. Es war ein fordernder, heftiger Kuss und Jenny erwiderte ihn.
Danach hielt er sie für einen Moment fest an seine Brust gepresst. Sie konnte sein Herz schlagen hören – wie ein menschliches Herz, dachte sie benommen. Dann flüsterte er ihr ins Ohr: »Das neue Spiel heißt Lämmer und Monster .« Dann war er fort.
Von dem Balkon verschwunden, einfach so. Alle Wärme wich aus Jennys Armen und sie stand allein da.
Sie konnte die Musik wieder hören. Es hätte alles ein Traum sein können – aber sie spürte noch immer Julians harten Kuss auf ihrem Mund.
Die Schatten auf dem Balkon waren heller geworden, als er verschwand. Jenny sah sich ängstlich um. Julian hatte gesagt, das Spiel beginne jetzt. Julian sagte nichts, was er nicht auch so meinte.
Aber sie konnte nichts Ungewöhnliches entdecken.
Der Tanz im Ballsaal ging weiter. Jenny drehte sich um, umfasste das Geländer des Balkons und schaute hinunter.
Der Strand unter ihr wurde sanft von Scheinwerfern beleuchtet. Einer von ihnen fing ein kupfernes Glitzern ein.
Audrey! Sie war dort unten und die dunkelhaarige Gestalt neben ihr musste Eric sein. Sie waren einige Meter von den anderen Leuten entfernt und gingen Hand in Hand den Strand entlang. In die Dunkelheit.
Ich werde sie einen nach dem anderen einfangen, zuerst das Rotkäppchen … Und es beginnt jetzt.
Rot – wie Audreys Haar.
»Audrey! Audrey! «, schrie Jenny. Aber ihre Stimme wurde von der Musik verschluckt. Sie fühlte sich klein und schwach im Vergleich zu dem tosenden Ozean. Aufgeregt schaute Jenny sich um, es gab keinen Weg vom Balkon hinunter zum Strand.
Audrey und Eric verließen jetzt die Reichweite der Lichter und gingen in die Dunkelheit hinein.
»Audrey!«
Audrey hörte sie nicht.
Auf einem Ball war Audrey immer etwas unberechenbar.
So zum Beispiel mochte sie Eric, den Jungen, den sie gerade küsste, gar nicht wirklich. Aber irgendwie kam sie einfach nicht dagegen an, die ganze Stimmung ging
ihr unter die Haut. All die Lichter – und die dunklen Ecken. Die funkelnden Kleider, die Komplimente und die Musik. Es war sogar noch besser als Shoppen.
Und Eric war ein ziemlich guter Küsser, für einen all-American boy.
Wenn auch nicht so gut wie Mike. Michael Cohen war ein Weltklasseküsser, obwohl man ihm das nicht ansah. Es war eins der bestgehüteten Geheimnisse der Vista Grande High, und Audrey hatte nicht die Absicht, es zu lüften.
Ein leichtes Schuldgefühl beschlich sie, als sie an Michael dachte. Aber sie hatte ihm bereits gesagt, dass ihr nichts an Eric liege. Und sie tat das alles nur, um Jenny zu helfen.
Die oben im Ballsaal war und mit Brian und seinen Annäherungsversuchen fertig werden musste. Vielleicht wurde es tatsächlich Zeit, dass Audrey in dieser Hinsicht etwas unternahm.
»Eric«, sagte sie, löste sich von ihm und strich sich über ihr Haar, »wir sollten besser wieder umkehren.«
Er wollte schon protestieren, aber Audrey hatte sich bereits umgedreht. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass sie sich so weit von den Lichtern des Hotels entfernt hatten.
»Komm«, sagte sie unbehaglich.
Nach nur wenigen Schritten sah sie im Augenwinkel eine Bewegung, ein schnelles, helles Aufflackern in den Schatten des Strands.
Vielleicht nur ein kleines Tier oder ein Vogel. »Eric, komm schon.«
Aber Eric schmollte. »Geh doch, wenn du willst.«
Na schön. Sie ging, so schnell sie konnte. Aber bei jedem Schritt versanken ihre nackten Füße in dem weichen, leicht feuchten Sand.
Die Lichter des Hotels schienen kilometerweit entfernt zu sein. Rechts von ihr erstreckte sich der unvorstellbar gewaltige Ozean. Links von ihr umhüllte die Finsternis einen Sandhügel. Zwischen der Dunkelheit und dem Meer fühlte Audrey sich klein und verletzlich. Kein angenehmes Gefühl.
Mit einem Mal blieb sie abrupt stehen. Sie drehte sich um und schaute in die Dunkelheit. Es war nichts zu sehen. Vielleicht war auch gar nichts da.
Dann hörte sie einen Ruf. Audrey fuhr zusammen und bemühte sich, im Dunkeln etwas zu erkennen. Irgendetwas war dort hinten.
»Eric? Eric!«
Ein weiterer Ruf. Und dann, viel lauter noch, ein schreckliches Geräusch, das über das
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