Die Bibliothek der Schatten Roman
knapp. »Aber versprechen Sie mir, so schnell wie möglich wiederzukommen.«
»Selbstverständlich«, versprach Jon. »Machen Sie sich um mich keine Sorgen.«
»Passen Sie auf sich auf«, bat Jenny und legte auf, ehe Jon antworten konnte.
Vielleicht irrte er sich, was Halbechs Geduld anging, aber er hatte jetzt wirklich keine Zeit, sich darum zu kümmern. Das würde er beizeiten klären - es gab nichts Besseres als unbezahlte Überstunden, um das Verhältnis zu seinem Chef wieder zu entspannen.
Eigenartigerweise kam ihm das Treffen mit Tom Nørreskov, Klausen oder wie auch immer er genannt werden wollte, sehr viel dringlicher vor. Als wäre die Fahrt nach Vordingborg ein Wettlauf mit der Zeit. Dabei wusste Jon noch nicht einmal, ob er Wert darauf legte, die Siegerprämie - sollte es denn überhaupt eine geben - zu gewinnen.
SIEBZEHN
B ist du sicher, dass ich nicht mitkommen und auf euch aufpassen soll?«, fragte Paw.
Katherina nickte.
»Irgendjemand muss schließlich dafür sorgen, dass der Laden offen bleibt«, sagte sie.
Eine Stunde zuvor hatte sie mit dem noch schlaftrunkenen Paw telefoniert. Er hatte einsilbig und abweisend geantwortet, bis sie ihm von ihrem Besuch im Krankenhaus berichtete. Als sie ihm schließlich erklärte, dass sie einen Vagabunden aufsuchen wollten, hatte er sich überreden lassen und war kurz darauf mit ungekämmten Haaren und zerknitterten Kleidern im Libri di Luca aufgetaucht.
»Er könnte gefährlich sein«, warnte Paw.
»Es ist doch gar nicht gesagt, dass er überhaupt etwas damit zu tun hat«, wandte sie ein. »Woher willst du überhaupt wissen, dass es sich um einen Mann handelt?«
Paw zuckte mit den Schultern und murmelte etwas Unverständliches.
Katherina holte ihren Schlüsselbund heraus und machte einen Schlüssel los.
»Du kannst gegen fünf zumachen, wenn keine Kunden mehr da sind. Hier, das ist der Schlüssel für die Ladentür.«
»Ich hab doch selbst einen Schlüssel«, antwortete Paw und steckte die Hand in die Hosentasche. »Ich krieg das schon hin, keine Sorge.«
Im gleichen Moment hielt Jons Mercedes vor dem Laden. Katherina nahm ihre Jacke und ihre Tasche und ging zur Tür.
»Frohes Schaffen«, rief sie zum Abschied und warf Paw ein verschmitztes Lächeln zu.
»Sehr witzig«, grunzte er und hob die Hand. »Hau schon ab.«
Als Katherina zum Wagen ging, war Jon ausgestiegen und betrachtete den blauen, wolkenlosen Himmel über den Häusern. Seine Nasenflügel weiteten und verengten sich im Takt mit seinen tiefen Atemzügen, als wolle er die Stadtluft ein letztes Mal genießen, bevor er aufs Land fuhr. Zum ersten Mal sah Katherina ihn nicht im Anzug, sondern in einer Jeans und einem dicken Wollpullover. Es stand ihm gut.
»Wie lange brauchen wir dorthin?«, fragte Katherina nach einer etwas steifen Umarmung.
»Eine Stunde, vielleicht anderthalb«, antwortete Jon und ließ den Wagen an. »In der Gegend, in der der Hof liegen soll, gibt es bestimmt nur Feldwege, wir werden wohl eine Weile brauchen, bis wir ihn finden.«
Katherina winkte Paw zu, der sie durch die neuen Schaufenster des Libri di Luca beobachtete. Er erwiderte ihren Gruß nicht, sondern wandte sich ab und ging nach hinten in den Laden, wo sie ihn nicht mehr sehen konnte. Der Mercedes setzte sich in Bewegung, und sie ließen sich mit dem Verkehr durch die Straßen schieben.
Erst als sie aus der Stadt heraus waren und die grelle Herbstsonne sie zwang, die Augen zusammenzukneifen, fragte Katherina: »Glaubst du, er ist es?«
»Zeitlich würde es ja schon passen«, meinte Jon. »Aber welches Motiv sollte er haben? Heute, 20 Jahre nach seinem Ausschluss?« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat die Einsamkeit diesen Nørreskov ja verrückt gemacht, so dass er jetzt seine Wut auf die Begebenheit richtet, mit der sein ganzes Elend angefangen hat - den Ausschluss.«
»Und warum sollte er dann damals seine Aktionen eingestellt haben?«
»Vielleicht hat es ihm ja gereicht, die Gesellschaft zu spalten«, schlug Jon vor. »Die Bibliophile Gesellschaft war Lucas Herzensangelegenheit, also konnte er ihn damit wirklich treffen.«
Katherina dachte an Paws Warnung. Sicher war das nur ein Spaß gewesen. Oder er hatte ein Argument finden wollen, um nicht einen ganzen Tag hinter dem Tresen der Buchhandlung stehen zu müssen. Andererseits konnten sie tatsächlich nicht ausschließen, dass Tom durchgedreht war und gewalttätig wurde, wenn man ihn störte. War er wirklich ihr Mann, würde er vor
Weitere Kostenlose Bücher