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Die Bibliothek der verlorenen Bücher

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Titel: Die Bibliothek der verlorenen Bücher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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gegenüber Botham sollten sie noch früh genug bereuen.
       Der unwiederbringliche Verlust eines Großteils des literarischen Erbes brachte Elizabeth Sterne und ihre Tochter bald in ungeahnte Schwierigkeiten. Da ihnen so gut wie keine finanziellen Mittel hinterlassen worden waren, mussten sie ihre Hoffnung auf die Ausbeutung der verbliebenen Briefe und Papiere setzen, die Botham übersehen oder als harmlos verschont hatte. Ein flüchtiger Bekannter, der radikale Politiker und Journalist John Wilkes, der wegen einer regierungskritischen Pressekampagne gerade untätig im Gefängnis saß, wurde beauftragt, die Biographie Sternes zu schreiben, die durch die erhaltenen Briefe ergänzt werden sollte. Doch Wilkes Entlassung und seine neue Position als Oberbürgermeister von London verhinderten die Realisierung des möglicherweise einträglichen Werkes. Lydia bat ihn, ihr zumindest die Briefe ihres Vaters zu überlassen, die sich in seinem Besitz befänden. Aber Wilkes hatte bereits die gesamte Korrespondenz verbrannt. Als Lydia davon erfuhr, fragte sie ihn, ob er nicht wenigstens ein paar Briefe im Stil ihres Vaters schreiben könne, um diese mit Gewinn zu veröffentlichen.
       1775, sieben Jahre nach Sternes Tod, erschien tatsächlich ein Band mit 117 Briefen und einem autobiographischen Text, »Memoirs of the Life and Family of the Late Rev. Mr. Laurence Sterne«. Wie spätere Biographen herausfanden, waren die Briefe von der Herausgeberin Lydia Sterne erheblich gekürzt und freimütig bearbeitet worden. Auch die Memoiren stammen wahrscheinlich nicht von Sterne selbst, da sie kleine Fehler und merkwürdige Ungenauigkeiten enthalten.
       Laurence Sterne hätte sich wohl am meisten über solche Wirrnisse amüsiert. Neben offensichtlichen Fälschungen und fragwürdigen Dokumenten gibt es nur wenige gesicherte Fakten über sein Leben. »Keine Situation bringt mich mehr in Verlegenheit, als wenn ich jemandem sagen muss, wer ich bin: denn es gibt kaum einen Menschen, über den ich nicht besser Auskunft geben könnte als über mich selbst.« Die Worte und Bekenntnisse des Mr. Yorick aus Sternes kleinem Reiseroman »A Sentimental Journey through France and Italy« sind kaum geeignet, ein helleres Licht auf den Autor zu werfen. Er bleibt verborgen hinter seinen skurrilen Figuren und literarischen Erfindungen. Mehr erfahren zu wollen wäre indiskret, und was von Sterne bleibt, ist immerhin der unverzichtbare »Tristram Shandy«, ein umfangreicher Roman mit einigen absichtsvoll fehlenden Kapiteln. Zu Beginn des Buches verspricht der Erzähler dem Leser, ihn in Kürze mit Abhandlungen über Kammerjungfern und Knopflöcher zu erfreuen. Schließlich sieht er sich jedoch gezwungen, diese Pläne aufzugeben, da einige Herrschaften ihm versicherten, dass beide, Kammerjungfern und Knopflöcher, so eng zusammenhingen, dass ein ausführliches Kapitel zu diesem gewichtigen Thema unweigerlich die Moral der Welt gefährdete.

    Bücher, die nie geschrieben wurden

    M an kann sich vielerlei Gründe ausmalen, warum ein bestimmtes Werk von einem bestimmten Autor nicht geschrieben wird. Wenig hilfreich scheint es allerdings, sich darüber Gedanken zu machen, welche Meisterwerke der Literatur uns auf diese Weise vorenthalten wurden. Robert Ranke-Graves, der durch seine »Griechische Mythologie« von 1955 einigen Ruhm erlangte und dessen Autobiographie »Goodbye to All That« (»Strich drunter!«) aus dem Jahr 1929 mehr als nur lesenswert ist, berichtete von einer Begegnung mit dem großen englischen Romancier Thomas Hardy, die die Vermutung nahelegt, dass über Sein oder Nichtsein eines bedeutenden literarischen Werks mitunter nur die kurzfristige Verfügbarkeit von Papier und Bleistift entscheidet.
       Hardy sprach gegenüber seinem Besucher geringschätzig von seinen berühmten Werken, er gab aber zu, dass es etwa im »Bürgermeister von Casterbridge« einige Kapitel gebe, die er gern geschrieben habe. Als die beiden Schriftsteller im Garten umhergingen, blieb Hardy an einer Stelle beim Gewächshaus stehen. Einmal habe er einen Baum beschnitten, als ihm plötzlich eine Idee für eine Geschichte kam; die beste, die er jemals erdacht habe, und sie sei ihm nahezu vollständig, mit allen Charakteren, Schauplätzen und sogar einem Teil des Dialogs, eingefallen. Aber da er weder Bleistift noch Papier bei sich gehabt habe und den Baum zurechtstutzen musste, ehe das Wetter umschlug, habe er sich keine Notizen gemacht. Als er endlich wieder an

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