Die Bibliothek des Zaren
ich das ganze Gold des Weltalls alleine, ohne Euch, an mich reiße?«
»Doch, habe ich«, sagte Adam Walser seufzend. »Ehrlich gesagt, ich habe große Angst davor. Aber es gibt so viel Schreckliches auf der Welt, dass man wählen muss, wovor man mehr und wovor man weniger Angst hat. Und außerdem, was habt Ihr von Samoleys Buch ohne mich? Ihr könnt es nicht lesen und könnt die einzelnen Schritte der höchst komplizierten chemischen Umwandlung ohne mich nicht durchführen. Wir brauchen uns gegenseitig, Herr von Dorn, und beidseitige Abhängigkeit, das ist das stärkste Fundament für ein Gebäude aus Liebe und Freundschaft. Ich komme ohne einen zuverlässigen Verteidiger und Helfer nicht weiter. Besonders jetzt, da Taissi mich im Haus des Bojaren Matfejew gesehen hat.«
Cornelius wollte schon den Mund weit aufsperren, machte ihn aber wieder zu und fragte:
»Warum?«
»Der Grieche ist klug, er hat sicher erraten, warum ich im Haus des Herrn Kanzlers erschienen bin. Ich habe den Vizeminister Golossow, meinen Vorgesetzten im Apotheken-Amt, gebeten, für mich eine Einladung zu dem Bojaren zu erwirken. Matfejew ist der mächtigste Mann in ganz Moskowien und gilt als Liebhaber von seltenen Büchern. Mir war klar, dass ich alleine nicht an die Liberey herankomme; mit einem so hohen Gönner wäre das schon etwas anderes. Ich entschloss mich nach quälenden Zweifeln zu diesem Schritt, denn ich sah keinen anderen Ausweg – ich hatte damals ja noch nicht das Glück, Euch zu kennen. Ich hatte mir Folgendes überlegt: Es ist allgemein bekannt, dass Herr Artamon Sergejewitsch ein aufgeklärter und ehrlicher Mann ist. Natürlich wird er die Bibliothek für sich beanspruchen, aber er wird mich zumindest großzügig belohnen. Wenn ich also von der ganzen Liberey nur das Traktat zur Mathematik haben will, wird mir der gute Bojar wohl kaum diese Bitte abschlagen . . . Darum bin ich zu dem Neujahrsempfang gegangen: Ich wollte mir Matfejew genauer ansehen, mir eine Meinung bilden und dann im passenden Moment Seine Exzellenz um eine Privataudienz in einer äußerst wichtigen Angelegenheit bitten. Konnte ich denn voraussehen, dass ich dort den verfluchten Taissi treffen würde? Der Metropolit weiß sehr wohl, dass ich nicht zu den Speichelleckern gehöre, die den Magnaten aus Habgier oder eitlem Ehrgeiz die Tür einrennen. Er wird zweifellos erraten haben, dass ich in der Person des Kanzlers einen Beschützer zu finden hoffte. Ebendeshalb hat der niederträchtige Grieche seinem Haschischin befohlen, mich zu entführen, zu verhören und dann natürlich zu töten.«
Cornelius wedelte ungeduldig mit der Hand, um anzudeuten, dass er jede Menge Fragen habe.
»Ruhig, Herr Hauptmann, das ist jetzt der heikelste Moment – ich fixiere Eure neuen Zähne . . . Aber alles hat sich aufs Beste gefügt. Jetzt brauche ich Matfejew nicht. Hauptmann von Dorn reicht mir durchaus. Wir einigen uns vorher, wie wir die Liberey teilen. Ihr werdet das Buch Samoleys doch wohl kaum haben wollen? Was wollt Ihr damit anfangen? Wenn Ihr wollt, gebe ich Euch den Einband mit den Rubinen. In den Truhen gibt es noch viele andere Bücher mit kostbaren Beschlägen, sie gehören ebenfalls alle Euch. Mit dieser Beute werdet Ihr zu einem der reichsten Männer Europas. Mir gebt Ihr nur den Papyrus, abgemacht?«
Der Apotheker drückte etwas, als er den Knochenzahn einsetzte, und schaute ängstlich und flehend auf Cornelius.
»Abgemacht«, sagte der Hauptmann großmütig, schnalzte mit der Zunge, um sich an die künstlichen Zähne zu gewöhnen, und wiederholte, schon sicherer geworden: »Abgemacht, der Papyrus ist für Euch, die Karfunkel aus dem Lande Wuth und alle anderen Bücher mit kostbaren Beschlägen sind für mich.«
Das ganze Gold des Weltalls – das ist natürlich eine Menge, aber wer weiß, ob es Walser wirklich gelingt, seine Tinktur nach dem alten Rezept herzustellen, während die Rubine eine sichere Sache sind, die kann man immer für gutes Geld verkaufen.
»Ist das Buch groß?«, wollte von Dorn plötzlich wissen. Was, wenn es nur so groß war wie das Miniatur-Gebetbuch, das er bei Alexandra Matfejewa gesehen hatte? Das konnte man mit einer Hand zudecken.
»Ja, es ist groß, sehr groß«, sagte der Apotheker zu seiner Beruhigung. »Saventus gibt sein Format mit ›Quart‹ an. Und die Rubine bedecken seine Oberfläche auf beiden Seiten von oben bis unten. Außerdem erwähnt der Pastor noch das Gesetzbuch Justinians mit einem Einband aus großen
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