Die Bibliothek des Zaren
zittern! Und es war dieses irrationale mystische Zittern, das den Ausschlag gab.
»Gut«, sagte Fandorin langsam. »Ich werde es versuchen. Und von Ihnen, Herr Gabunija, brauche ich Folgendes: Erstens: dass mich keiner bei meiner Suche stört. . .«
»Also Ihnen den Rücken freihalten?«, sagte Sosso verständnisvoll. »Das ist für mich ein Kinderspiel. Ich gebe Ihnen Wladimir Iwanowitsch. Er wird Sie besser beschützen als Jelzins Bodyguard Korshakow den Präsidenten. Zweitens?«
»Ich stehe auf der Fahndungsliste, muss aber unbedingt bestimmte Bücher, Materialien und alte Dokumente einsehen . . .«
»Geben Sie die Liste Sergejew. Er wird alles ausfindig machen und beschaffen. Jedes x-beliebige Buch, jedes x-beliebige Dokument. Meinetwegen auch aus den Geheimarchiven des KGB. Was noch?«
»Was anzuziehen wäre nicht schlecht«, sagte Nicholas seufzend und schielte angeekelt auf sein dreckiges Hemd und die notdürftig geflickte Hose. »Geht das?«
»Ein schwieriges, aber lösbares Problem«, sagte der Bankier fröhlich und nahm die Gläser in die Hand. »Wir haben viel Gemeinsames, Nikolai Alexandrowitsch. Wir sind beide Menschen mit schwierigen Problemen. Lassen Sie uns darauf trinken, dass sie sich alle so leicht lösen lassen.«
»Nein, nein, mir wird schlecht davon«, lehnte Fandorin erschrocken ab. »Ich habe heute schon getrunken. Und zwar nicht zu knapp.«
Dieses Argument zählte in Russland anscheinend nicht. Joseph Guramowitsch lächelte über die Worte des Magisters wie über einen gelungenen Witz und drückte ihm das Glas in die Hand.
»Dieser Cognac ist zwanzig Jahre alt. Davon ist noch nie jemand übel geworden. Im Gegenteil. Wollen Sie wie Monte Cristo zu Besuch beim Grafen von Morcerf nichts trinken und nichts essen? Sind wir Feinde? Wir haben ein für beide Seiten Gewinn bringendes Abkommen getroffen, das muss begossen werden. Der Nutzen für Sie liegt auf der Hand. Ich für meinen Teil tätige ebenfalls eine nutzbringende Investition, von der ich mir eine hohe Dividende erhoffe.«
Fandorin schaute unschlüssig auf die goldbraune Flüssigkeit. Vielleicht sollte er ein kleines Gläschen trinken, um sich nach dem Herumsitzen auf dem Platz nicht zu erkälten?
»Lassen Sie uns auf unsere schwierigen Probleme trinken, lieber Nikolai Alexandrowitsch«, sagte der Bankier, stieß mit ihm an und fuhr fort, »denn ohne schwierige Probleme wäre es allzu langweilig auf der Welt.«
»Ich würde blendend ohne Ihren Sedoi auskommen«, widersprach Nicholas knurrend, trank aber trotzdem.
Es stellte sich heraus, dass Gabunija die reine Wahrheit gesagt hatte – von einem einzigen Glas des Zaubertranks fühlte sich der Magister sofort wohl. So wohl, dass das nur eins bedeuten konnte: Alle früheren Alkoholinvestitionen, die zeitweise durch die Kälte und die nervliche Erschütterung eingefroren gewesen waren, tauten nun von der zusätzlichen Einlage wieder auf und warfen Dividenden ab. Das nennen sie hier: »auf die alte Hefe obendrauf«.
»Was hat das mit Sedoi zu tun?«, fragte Sosso verwundert. »Sedoi ist kein Problem, sondern ein kleiner Splitter in meinem dicken Hintern. Ich ziehe diesen Splitter bestimmt raus – mit Ihrer Hilfe, hoffe ich. Nein, verehrter Nikolai Alexandrowitsch – reichen Sie mir Ihr Glas –, meine Probleme sind entschieden komplizierter.« Sie tranken aus, aßen ein Stück Schokolade, und der Bankier fuhr fort: »Ich habe drei schwierige Probleme. Das erste: Ich wiege 124 Kilogramm, muss abnehmen, aber ich esse sehr gern. Das zweite: ich habe kein Glück in der Liebe, sondern habe ein sehr merkwürdiges Verhältnis zu diesem hehren Gefühl. Und das dritte: ich gehe zur Messe, habe drei Kirchen gebaut und unterstütze vier Armenhäuser, glaube aber nicht an Gott – absolut nicht, so sehr ich mich auch darum bemühe. Ich lese religiöse Bücher und bete – aber alles ist für die Katz, wie man so sagt. So etwas nenne ich schwierige Probleme. Ich muss sie lösen, aber wie: keine Ahnung.«
Sie tranken das zweite Gläschen, und Nicholas war jetzt noch wohliger zu Mute. Er war offenbar in jene triviale Situation geraten, die unzählige Male beschrieben und verfilmt wurde: der Ausländer als Opfer aggressiver russischer Gastfreundschaft. »Wahrscheinlich meinen sie das, wenn sie von ›Suff‹ sprechen«, dachte der Magister, »wenn du eine neue Trinkrunde beginnst, obwohl du von der davor noch nicht nüchtern bist.« Was ihm am meisten Sorgen machte, war die Tatsache, dass er
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